Nachgefragt bei Julika Tabertshofer

14. Oktober 2022

2022 ist ihr Buch „Alte Meister im Licht der Moderne“ beim Cadmos Verlag erschienen. Was hat Sie veranlasst, dieses Buch zu schreiben?

 

Die Notizen für das Buch hatte ich schon seit ein paar Jahren herumliegen, seitdem ich angefangen hatte die Werke der Alten Reitmeister durchzuarbeiten. Sowohl die Originalwerke – sofern für mich lesbar und erhältlich – als auch Sekundärliteratur. Zu jedem der Werke hatte ich mir Zitate herausgeschrieben und ausführliche Notizen gemacht, nach Themen sortiert. Ich habe zum Beispiel in Haltung und Fütterung, Ausrüstung, Aufzucht, Anreiten, Remontenarbeit, Hohe Schule usw. unterteilt, um die einzelnen Meister und ihre Methoden besser vergleichen und im zeitlichen Ablauf die Veränderungen sehen zu können.

Anfangs waren diese Notizen nur für mich gedacht und ich habe sie für ein paar Fachartikel genutzt. Dann hatte ich im ersten langen Lockdown mit einem Mal mehr Freizeit und mir kam der Gedanke, diese Notizen zu einem Buch zusammenzustellen. Schließlich hat sich heute allgemein das Interesse der Reiter an den Methoden der Alten Meister, aber auch einfach an guter Ausbildung und Gymnastizierung gesteigert und so nahm ich an, dass dieses Thema eventuell auch andere Reiter interessieren würde. Also schrieb ich das Buch und nahm Kontakt mit dem CADMOS Verlag auf.

Welcher „Alter Meister“ hat Sie am meisten beeindruckt?

Anfangs fand ich das Werk von Antoine de Pluvinel am interessantesten, weil er sehr weit von unseren heutigen Methoden entfernt ist und noch eine sehr ursprüngliche, rein auf die Kriegsreiterei ausgerichtete Pferdeausbildung betrieb. Außerdem hat er beeindruckend weise, pädagogische Ansichten den Reiter, das Pferd und generell das Leben und Lernen betreffend.

Mittlerweile finde ich meine persönlichen Ansichten aber am Meisten bei Manoel Carlos de Andrade und Francois Robichon de la Guérinière wieder, zwei der bekanntesten Ausbildern der Barockzeit.

Ist nach Ihrer Meinung der Ausbildungsweg der klassischen Reitkunst auch heute noch wichtig und aktuell?

Ja natürlich und damit stehe ich wirklich nicht alleine da. Immer mehr Reiter erkennen heute den Wert der Methoden der Alten Meister und auch allein des Wissens, wo die Dressur und die Übungen her kommen und wie sie ursprünglich angewandt wurden. Die modernen Strömungen der Reitkunst orientieren sich im Kern alle an den Lehren aus Renaissance und Barock bzw. Neuzeit, bringen aber auch moderne Erkenntnisse der Forschung ein, zum Beispiel der Biomechanik oder der Verhaltensforschung. Dennoch denke ich, dass es nie gut ist zu hundert Prozent an alten Traditionen festzuhalten und diese unhinterfragt anzuwenden, denn mit der Zeit ändern sich einfach die Umstände, unsere Ziele, der Mensch selbst und auch die Pferde sind nicht mehr die gleichen wie noch zu Pluvinels Zeiten. Da ist es nötig die alten Lehren anzupassen und zu ergänzen, im Kern sollte man sich aber dennoch an den jahrhundertelangen Erfahrungen dieser Männer orientieren, die ihr Leben in den Dienst der Reitkunst gestellt haben und sich meist viel länger und intensiver mit dem Thema befasst haben als es uns heute möglich ist.

Früher wurden auf die klassischen Schönheitsideale der Versammlung geachtet. Was halten Sie von der Ausbildungspyramide der FN?

Ich denke es ist ein sehr deutscher Ansatz etwas unbedingt in eine strenge Ordnung einteilen zu wollen, um einen standartmäßig für jeden nachvollziehbaren Ablauf herzustellen.

Es wäre ja schön wenn die Pferdeausbildung so funktionieren würde, aber dafür ist diese viel zu individuell und der Ablauf für jedes Pferd zu unterschiedlich.

An solch einer Pyramide könnte man sich mit einem in Gebäude und Charakter perfekten Pferd orientieren, aber für den überwiegenden Teil der Freizeitpferde funktioniert das ist der Praxis einfach nicht. Mit meinem eigenen Pferd musste ich wegen seines schwierigen Gebäudes beispielsweise mit der Versammlung beginnen, um mich dann rückwärts an Takt und Losgelassenheit heranzuarbeiten.

Auch lassen sich die einzelnen Abschnitte absolut nicht von einander trennen, kein Pferd kann taktmäßig und losgelassen laufen, ohne in sich geradegerichtet zu sein. Oder beispielsweise beginnt man in der Reitkunst viel früher mit Ansätzen der Versammlung, auch wenn diese anfangs nur minimal sind, als es die FN vorsieht.

Trotzdem kann es Sinn machen sich dieses Schema zumindest einmal anzuschauen und zu verstehen welche Ideen dahinter stehen, aber daran orientieren kann man sich in der Praxis kaum. Allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es von den Verfassern der Skala der Ausbildung so strikt und voneinander getrennt gemeint war, es dient wohl eher der groben Sichtbarmachung eines idealen Ausbildungsverlaufs.

Im Laufe der Zeit ist die Barocke Reitkunst in Vergessenheit geraten. Militärische Ausbildung, neue Mode und Geisteseinstellung und Einfuhr neuer Pferderassen haben die Lehren der alten Meister verdrängt. Nur wenige „Hofreitschulen“ haben die Jahrzehnte überlebt. Was sagen Sie zu der Situation in den Hofreitschulen?

Im Moment haben wir fünf Hofreitschulen in Europa, bis auf die Schule in Saumur (Frankreich) habe ich alle davon besucht und das Training beobachtet. Dabei hatte ich den Eindruck, dass man mittlerweile sehr versucht sich den Bildern der modernen Sportdressur anzupassen und dafür leider etwas weniger Wert auf reele und schonende Ausbildung legt. Außerdem werden selbst Lektionen der Hohen Schule oder die Schulsprünge oft mit Druck ausgebildet, die Pferde stehen sichtbar unter Stress, sind viel zu eng ausgebunden usw. Natürlich waren das nur Momentaufnahmen und das variiert denke ich auch je nach Bereiter, aber der allgemeine Eindruck war, dass die traditionelle Reitkunst in erster Linie nur noch in Outfit und den genutzten Pferderassen besteht.

Hierbei muss man leider aber auch Fragen der Finanzierung und Druck der Öffentlichkeit berücksichtigen, der Fehler ist sicher nicht ausschließlich bei den Verantwortlichen in der Reitbahn zu suchen.

Wobei ich davon die deutsche Hofreitschule in Bückeburg ausnehmen möchte, dort gibt man sich größte Mühe sich an den alten Lehren aus ganz Europa zu orientieren und betreibt viel theoretische und praktische Forschung. Auch werden die Pferde sehr viel besser, artgerechter behandelt und reeler und schonender ausgebildet, soweit ich sehen konnte.

Die „Alten Meister“ haben sich nicht nur der Ausbildung des Pferdes zugewandt, sondern auch sehr viel Wert auf den Charakter des Reiters gelegt. Welche Eigenschaft muss ein Reiter oder eine Reiterin mitbringen?

Dieser Aspekt wird heute leider zu selten thematisiert, denn Reiterei und besonders die Ausbildung eines anderen Lebewesens hat sehr viel mit Charakter und Verhalten des Ausbilders zu tun. Natürlich ist aber niemand von Beginn an ein guter Ausbilder und bringt alle nötigen Eigenschaften mit. Das ist auch etwas was über die Zeit reift und sich mit den Jahren der Erfahrung entwickelt.

Ein guter Reiter hat oder braucht meiner Erfahrung nach vor allem folgende Eigenschaften: Disziplin, Selbstbeherrschung, Geduld, Empathie, Ruhe, Konsequenz, Intelligenz und einen gewissen Forschungswillen. Nicht zuletzt braucht es auch ein freundliches Wesen und Liebe zum Tier, ansonsten kann man den ganzen Prozess nicht über Jahre hinweg durchhalten und wird auch nicht in der Lage sein die Zuneigung und das Vertrauen des Tieres zu gewinnen.

Es hilft generell wenn man eine Person ist, die von Natur aus respektiert wird und bei der sich andere sicher und angenommen fühlen und für die sie bereit sind etwas zu leisten.

Auch ist es wichtig zumindest einigermaßen sportlich, sprich beweglich und auch muskulär gut trainiert zu sein, um das Pferd nicht zu stören und die Hilfen korrekt geben zu können. Genauso wichtig ist es aber sich auch theoretisch mit der Materie auseinander setzen zu können.

Sie beschreiben nicht nur die „Alten Meister“ in Ihrem Buch, sondern gehen auch auf die heutige Ausbildung ein. Wie sieht Ihrer Meinung nach ein sanftes Anreiten aus?

Da gibt es denke ich auch nicht den einen perfekten Weg, das hängt sehr von den Umständen und dem jeweiligen Pferd und Reiter ab. Ich kenne einige Reiter die ihr Pferd schon von Fohlen an besitzen und dann einfach mal mit Knotenhalfter und ohne Sattel aufsitzen und so ein sehr ´schleichendes´ Einreiten betreiben (wobei das wegen des Risikos natürlich nicht unbedingt zu empfehlen ist), oder solche die sich Zeit nehmen und die ersten Jahre nur am Boden arbeiten bis das Pferd schon sehr weit ausgebildet ist und sich dann erst auf das Pferd setzen.

Beim Westernreiten habe ich die sehr sichere und für das junge Pferd relativ stressfreie Methode des Anreitens als Handpferd kennengelernt. Das setzt aber auch eine gewisse Vorbereitung des Pferde und ein sicheres und erfahrenes Führpferd plus Reiter voraus, ansonsten kann es auch gefährlich werden.

Auch das übliche Einreiten an der Longe mit Helfer kann schonend sein, wenn es richtig durchgeführt wird.

Wichtig ist denke ich nur, dass dem Anreiten immer eine gute Vorbereitung des Pferdes am Boden voraus geht, nicht nur in der Erziehung sondern vor allem auch in der Bodenarbeit und in erster gymnastizierender Handarbeit. So ist das Pferd körperlich und hinsichtlich des Verständnisses auf die Hilfen schon gut vorbereitet.

Ich persönlich würde mein eigenes Pferd aber idealerweise erst an der Hand weit ausbilden, bevor ich es unter dem Sattel in die ernsthafte Dressurausbildung nehme. Aber wie gesagt, da gibt es sicherlich viele sinnvolle Wege.

Welche Lebensweisheiten möchten Sie den Reitern und Reiterinnen weitergeben?

Für die Weitergabe wirklicher Weisheiten fühle ich mich noch zu jung und bin auch selbst noch zu sehr im Prozess meiner persönlichen Entwicklung.

Nur ein paar kleine Tipps die ich in den letzten Jahren selbst gelernt oder erfahren habe: Seid niemals engstirnig oder überheblich anderen Stilrichtungen der Reiterei oder generell anderen Lebensentwürfen gegenüber. Es ist unglaublich arrogant zu glauben man hätte den einen Weg gefunden oder das eine wäre besser als das andere. Jede Reitweise oder jeder Lebensweg hat seine eigenen Ursprünge und Ziele und wird von einem anderen Individuum gegangen, deswegen kann man nie das gleiche auf ein anderes Lebewesen anwenden. Alles ist absolut individuell, im Leben wie in der Pferdeausbildung. Wir können von jeder anderen Sichtweise etwas lernen, uns evtl. etwas mitnehmen, oder auch einfach nur feststellen, dass es genauso nicht für uns funktioniert, für den anderen aber eben möglicherweise schon.

So kann man sich auch als Dressureiter etwas von der Arbeit der Westernreiter oder der Ausbildung der Springpferde abschauen, oder auch viel vom Natural Horsemanship und der Freiarbeit mitnehmen.

Ein weiterer Punkt, der mir selbst erst in den letzten Jahren klar geworden ist:

Bildet die Pferde spielerisch aus, als würdet ihr eurem besten Freund etwas beibringen wollen. Die wichtigste Grundlage neben Vertrauen und Respekt ist, dass sich euer Schüler – ob Pferd oder Mensch – bei euch wohl fühlt und keine Angst hat Fehler zu machen. Denn das schafft keine gute Lernatmospähre! Und was hat man davon, wenn man zwar ein intensives Training hinter sich bringt, aber dann beide froh sind sobald sie wieder möglichst schnell getrennte Wege gehen können. Dieser Punkt hat mich bei mir selbst ehrlich gesagt lange gestört, weil ich zwar ein guter und effektiver Trainer war, aber die Pferde eher aus Respekt denn aus Zuneigung und Freude an der Arbeit mitmachten und sich häufig zu sehr von mir unter Druck gesetzt fühlten. Mittlerweile habe ich es geschafft, bei mir selbst und den Pferden den Druck aus der täglichen Arbeit zu nehmen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass wir etwas Tolles zusammen machen und sie das freiwillig und bereitwillig tun. So verbessert sich nicht nur die Beziehung zum Pferd und dessen Zufriedenheit, sondern letztlich werden auch die Ergebnisse der Ausbildung auf ein ganz anderes Niveau gehoben.

Was würden Sie in der heutigen Reitweise gerne ändern?

Soweit ich das sehe ändert sich da schon einiges, es gibt immer mehr Menschen die sich der Reitkunst zuwenden oder einfach ihr Freizeit- und Geländepferd gesund gymnastizieren möchten. Auch in der Sportreiterei werden pferdefreundliche Reiter und artgerechte Haltung immer populärer. Natürlich fände ich es schön, wenn man den sportlichen und vergleichenden Aspekt in der Reiterei abschaffen könnte, denn Reiten ist so individuell, dass es sich meiner Meinung nach gar nicht vergleichen und messen lässt.

Aber noch wichtiger wäre, dass das tägliche Training noch sinnvoller für das Pferd gestaltet wird, dass mehr Wert auf reele, schonende Ausbildung gelegt wird. Und auch auf artgerechte Haltung! Die Zeit welche das Pferd in der Reitbahn verbringt ist sehr gering im Vergleich zu seinem sonstigen Lebensalltag, den immer noch zu viele Pferde in die Box gesperrt verbringen müssen. Für die Psyche und den Körper des Pferdes und damit auch für seine Ausbildung wäre eine Bewegungshaltung in der Gruppe sehr viel besser. Auch dafür hat sich das Bewusstsein vieler Reiter in den letzten Jahren gebessert, aber es besteht noch immer viel Änderungsbedarf.

Mit welchen „Alten Meister“ hätten Sie sich gerne einmal unterhalten?

Im Grunde tatsächlich mit jedem der Alten Meister. Es müssen wohl alles faszinierende, intelligente und sehr reflektierte Menschen gewesen sein, mit einem großen Erfahrungsreichtum und einem gewissen Maß an Weisheit. Pluvinel wirkt sehr sympathisch, empathisch, entspannt und teilweise schon humorvoll. Der Duke of Newcastle zeigt einige interessante Wechsel zwischen weise und liebevoll dem Pferd gegenüber, auf der anderen Seite aber auch arroganten Zügen den anderen Ausbildern gegenüber und eine absolute Überzeugung von seinem eigenen Können und seiner Methode. Guérinière ist als Mensch kaum greifbar und verschwindet tatsächlich etwas hinter seinem perfekt ausformulierten und knapp auf den Punkt gebrachten Werk.

Andrade wirkt ebenfalls sympathisch und unglaublich korrekt in allen Belangen. Er scheint einen Hang zur Pedanterie gehabt zu haben, so nahm er nicht nur die Pferdeausbildung bis ins kleinste Detail auseinander, sondern legte auch fast übertrieben viel Wert auf die höfische Ordnung und den planvollen Ablauf in der Reitbahn.

So gesehen hätte ich wohl am Liebsten Antoine de Pluvinel persönlich kennengelernt, rein aus menschlicher Sicht.

 

Wir bedanken uns bei Julika für das nette Gespräch.

 

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