Marc Lubetzki und die Wildpferde

6. Oktober 2022

Es gibt sehr viele Missverständnisse im Umgang mit Pferden. Der Grund dafür ist, dass ihr natürliches Verhalten weitgehend unbekannt ist oder falsch interpretiert wird.
Tierfilmer Marc Lubetzki erforscht in seinem Projekt „Expedition Pferd“ die Gemeinsamkeiten sowie die Unterschiede zwischen wild lebenden Herden in verschiedenen Gebieten unserer Erde. Seit vielen Jahren verbringt Marc als Tierfilmer sechs Monate im Jahr zwischen Wildpferden, um ihr Verhalten genau zu beobachten. Während der Dreharbeiten wird er Teil der Herde. Durch diese unmittelbare Nähe gewinnt er intime und umfassende Einblicke in ihr Familienleben.
Mark lebt mit seiner Frau Eike im Norden Deutschlands. Als Sattlermeister hat er Maßsättel entwickelt und dadurch viele verschiedene Ställe gesehen. Er beobachtete die Reaktion der Pferde auf die Sättel und dokumentierte sie später per Video. Das war die Geburtsstunde seiner „Filmkarriere“.
In seinen Büchern, Dokumentationen und Vorträgen berichtet er über seine Erkenntnisse zu Herdenstrukturen und Rangordnung, Sozialverhalten und Fressgewohnheiten, Körpersprache und Kommunikation.

Hofreitschule News hat sich mit dem sympathischen Norddeutschen unterhalten:

Marc, was fasziniert Dich so an den Wildpferden, dass Du monatelang mit ihnen in der Wildnis lebst?

Die Ruhe und Souveränität der Pferde in der Herde. Wie sie ihr Leben im Rhythmus der Natur, der Tageszeit und Jahreszeiten anpassen. Wir können uns den Althengst als coolen, souveränen Vater vorstellen, der jedes Fohlen, jeden Jährling und jede Stute akzeptiert. Die Kommunikation der Pferde untereinander ist sehr still und ruhig. Zu beobachten, wie sie sich untereinander mit kleinsten Gesten und Mimiken verständigen und das extreme Sozialverhalten, was sich auch in der Rangordnung zeigt, beeindrucken mich.

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Wildlebende Pferdeherden sind selten. Wo findest Du diese Herden?

So selten sind sie nicht. In vielen Ländern leben noch freilebende Pferde. Man findet sie in gemäßigten Zonen, wo viel Wasser zu finden ist. In Nordportugal leben die Garranos, die ich als Wildpferde bezeichnen würde. Sie sind scheu, da sie abgesondert in den Bergen leben. Wölfe zählen zu ihren natürlichen Feinden, wodurch sie ihre Urinstikte bewahrt haben. An sie heranzukommen ist auch für mich schwer. Leichter ist es in eine Herde eingeladen zu werden, wo dieser natürliche Feind fehlt. So zum Beispiel in Großbritannien die Exmoor-Ponys. Sie wandern noch frei durch ein riesiges Naturschutzgebiet. Oder die Koniks in der Geltinger Birk, hier im Norden Deutschlands. Sie sind zwar scheu, aber durchaus den Anblick der Menschen gewohnt, da ein langes Wandernetz durch die Halbinsel führt. Allein in Europa gibt es viele unterschiedliche Pferdetypen: Der robuste Nordpferdetyp oder die feinen, leichten Pferde im Süden. Nicht nur das Aussehen ist anders, auch die Verhaltenseigenschaften.

Du hast schon viele Herden beobachtet. Gibt es noch Herden, die Du noch nicht begleitet haben?

Auf jeden Fall. Vor jeder Reise recherchiere ich genau, welche Lebensbedingungen die Pferde ausgesetzt sind und was mich erwartet. Jede Reise muss vorher genau geplant werden. Aber welche Herde ich demnächst besuchen werde, dass erfahrt ihr, wenn ich dort gewesen bin.

Wie schaffst Du es, dass die Pferde dich in ihre Herde aufnehmen?

Durch Ruhe und sehr viel Geduld.

Klappt das immer, oder hast Du auch schon einmal eine Herde, die Dich nicht akzeptiert?

Zurückgezogene Herden, zum Beispiel die Garranos, sind sehr introvertiert. Hier fällt es schwer den Kontakt zum Althengst aufzunehmen und von ihm in die Herde eingeladen zu werden.

Was sagst Du zu der Gesamtsituation der Wildpferde?

Was ist ein echtes Wildpferd, wie der Biologe sie nennt? Bei einer Studie haben Forscher herausgefunden, dass selbst das Przewalski-Pferd, welches lange als Urpferd galt, wahrscheinlich von verwilderten Hauspferden abstammt. Heute sind die Wildpferde verschwunden – weil ihr Lebensraum zerstört wurde, weil sie sich mit Hauspferden paarten und weil der Mensch sie bejagte. Verwilderte Hauspferde dagegen gibt es noch. Allerdings greift der Mensch sehr häufig ein, um den Bestand zu kontrollieren und um Inzucht zu vermeiden. Im Allgemeinen kann man sagen, je mehr der Mensch eingreift, um so gefährdeter ist das Gleichgewicht der Pferdeherden. Nur noch in wenigen Gegenden, wo es den natürlichen Fressfeind, den Wolf gibt, reguliert die Natur den Bestand.

Ist es für Dich schlimm, wenn Du miterleben musst, wenn ein Pferd stirbt?

Es kommt auf die Situation an. Es ist der Lauf der Natur, dass alte oder kranke Pferde sich absondern und zum Sterben hinlegen. Aber wenn ich sehe, dass Pferde von Menschen gejagt und erlegt werden, dann tut das weh.

Hast Du schon Wölfe zu Gesicht bekommen?

Oh ja, in Portugal. Hier findet man eins der wildesten Gegenden Europas. Das stark zerklüftete Gebiet bietet den Garranos Schutz. Aber hier lebt auch der Iberische Wolf.

Jeder weiß, dass Pferde, wenn sie die Ohren nach hinten legen, drohen. Aber es gibt noch so viele andere Zeichen, mit denen sie kommunizieren. Was hast Du herausgefunden und was kannst Du den Pferdefreunden raten?

Es sind nicht die einzelnen Mimiken, sondern die Grundstimmung in der Herde, die für die Kommunikation wichtig ist. Da Pferde nicht gut sehen können, gehen diese kleinen Bewegungen unter. Die Situation in der Herde ist entscheidend. Wenn du zu deinem Pferd gehst, solltest du entspannt sein. Begrüße es nicht sofort, sondern erledige erst ein paar Sachen im Stall. Denn du bist ja Teil der Herde und brauchst keine Begrüßung. Ein ständiges Begrüßen sorgt eher für Verunsicherung. Besser ist es du bleibst still und gibst deinem Pferd Zeit dich zu beschnuppern. Pferde mögen es eigentlich nicht, wenn man sie am Kopf anfasst. Und gib ihm keine Leckerlies. Das lenkt von der eigentlichen Begrüßung ab. Nimm dir Zeit. Wenn du dein Pferd sofort aus dem Stall oder von der Weide nimmst, erzeugst du dadurch Hektik. Das Pferd befindet sich dann im Fluchtmodus.

Können unsere Hauspferde mit uns kommunizieren?

Wenn du entspannt und mit viel Zeit zu deinem Pferd gehst, achte auf dein Bauchgefühl. Wie ist die Stimmung? Ist alles so wie sonst? Oder hat sich irgendetwas verändert? Betrachte immer die Gesamtsituation. Wenn du dein Pferd kennst, dann merkst du schnell, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Gab es eine Situation, die Dich sehr beeindruckt hat? Ein Highlight ist es für mich, wenn es nichts Außergewöhnliches gibt. Wenn Ruhe in der Herde herrscht. Der Standortwechsel von Weideplatz zum Schlafplatz. Ein besonderer Moment ist es, wenn die Pferde aufwachen.

Unsere Hauspferde vertragen sich nicht immer auf der Weide. Was sagst Du dazu?

Das Schwierigste ist es die Harmonie in einer Herde herzustellen. Eine große Herausforderung für uns, da sich nicht alle Pferde untereinander vertragen. Hier ist es wichtig zu beobachten und Unruhestifter herauszunehmen. Oft werden einfach viele Pferde zusammengestellt. Aber eigentlich wären es zwei Herden. Und zwischen zwei Herden kann es schon mal zu Unruhe und Streit kommen. Große Weideflächen, wo sich die Pferde zu kleinen Gruppen zusammenschließen und sich aus dem Weg gehen können, sind von Vorteil. Zu körperlichem Kontakt kommt es auch, wenn zum Beispiel ein junges Pferd von den Älteren erzogen wird. Meist sind es die Stuten, die die Jungen zurechtweisen.

Was ist Dein Tipp für Reiter und Pferdehalter?

Alle Pferdehalter sollten darauf Rücksicht nehmen, dass das Pferd ein Herdentier ist und nicht alleine sein darf. Der soziale Umgang der Pferde untereinander ist wichtig für die Gesunderhaltung des Pferdes. Jedes Pferd sollte eine ausreichende Weide haben, denn sie sind Lauftiere und brauchen freie Bewegung, um physisch und psychisch gesund zu bleiben. Reine Boxenhaltung ist Tierquälerei. Wildpferde suchen sich in der Natur einen sicheren Ruheplatz. Holen wir die Pferde also gegen Abend in die Box, ist das durchaus eine Parallele zur Natur. Allerdings sollten wir beachten, dass Wildpferde in der Nacht die Nähe zu anderen Pferden suchen. Dabei ist zu beobachten, dass auch Pferde Freundschaften schließen. Die Nachtrituale sind sehr wichtig. Sie festigen die sozialen Bindungen. Bringen wir die Pferde in einen Paddock oder Stall, sollten sie sich den Schlafplatz und ihren Nachbarn selbst aussuchen
dürfen. Ein Bewegungsstall kommt den Bedürfnissen schon ganz nahe. Aber auch dort gibt es gute und auch schlecht angelegte Ställe.
Du gibst Dein Wissen an Pferdeliebhaber weiter. Wo können sie sich informieren? Auf meiner Internetseite www.marc-lubetzki.de biete ich meine Erfahrungen und Tipps in der MASTERCLASS an. Hier können Pferdeliebhaber die Signale der Wildpferde kennen lernen und sie auf die Kommunikation mit ihren Pferden übertragen. Wann verwenden Pferde auditive Signale und wann verständigen sie sich über Körpersprache? In welchen Situationen berühren sie sich und welche Intensität steckt dahinter? Die Erkenntnisse daraus helfen, den Einsatz von Hilfsmitteln wie Zäumungen, Zügel, Gerten, Halfter, Stricke und auch Leckerlis zu reduzieren oder ganz darauf zu verzichten. Im Gegenzug bekommt die Kommunikation mit unserem Pferd einen immer größeren Gesprächscharakter. Du sprichst mit ihnen.

Marc, vielen Dank für deine Zeit und das spannende Interview!

„Im Kreis der Herde“
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
Verlag: Kosmos
ISBN-10: 3440164365
ISBN-13: 978-3440164365


„Im Gespräch mit wilden Pferden: Natürlich kommunizieren – die Koniks machen es uns vor“
Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
Verlag: Kosmos
ISBN-10: 3440172945
ISBN-13: 978-3440172940


Über den Autor:
Tierfilmer Marc Lubetzki beobachtet und filmt seit 2012 Wildpferdeherden unter anderem in Deutschland, Großbritannien und Portugal. Während der Dreharbeiten wird er selbst ein Teil der Herde. Wie er das Vertrauen der Tiere gewinnt und welche Schlüsse er aus seinen einzigartigen Beobachtungen zieht, beschreibt er in diesem Buch. Es gelingt ihm, alte Missverständnisse wie beispielsweise die Leithengst-Lüge, aufzuklären und zu beweisen, wie nah sich Wild- und Hauspferd in ihrem Verhalten sind. Ein Band voller faszinierender Bilder und erstaunlicher Erkenntnisse.

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