Ausbildung der Remonte – Anja Beran: Reite dein Pferd an die Hilfen und bringe es ins Gleichgewicht.

30. Oktober 2019

Wer die Ausbildung von Pferden nach klassischen Grundsätzen betreiben möchte, sollte die „alten“ Reitvorschriften intensiv studieren!

Niemand Geringerer als Gustav Steinbrecht (1866 – 1935) formulierte einst diese goldene Regel: „REITE DEIN PFERD VORWÄRTS UND RICHTE ES GERADE“, das bedeutet meines Erachtens, reite dein Pferd an die Hilfen und bringe es ins Gleichgewicht.

 

Vorwärts bedeutet zum einen, dass das Pferd schwungvoll und fleißig nach vorne läuft, vorwärts heißt aber auch, dass das Pferd in jeder Lebenslage auf Wunsch des Reiters nach vorne geht, sich nicht verhält oder hinter die Hilfen „kriecht“. Besonders gut zu erkennen ist dieses Vorwärts in Schreckmomenten oder ungewohnten Situationen – bremst das Pferd abrupt oder macht gar kehrt, so ist es nicht reell an den treibenden Hilfen. Weiterhin ist dies auch ersichtlich bei versammelten Lektionen wie zum Beispiel der Piaffe. Normalerweise reagiert es energisch und fleißig auf die Einwirkung des Reiters; lässt es ihn jedoch im Stich und ignoriert seine Hilfen nahezu, dann ist es nicht wirklich vorwärts geritten. Denn obwohl die Piaffe fast auf der Stelle geritten wird, bedeutet sie ein Höchstmaß an Vorwärts.

Verwechseln Sie also Vorwärts nicht mit Geschwindigkeit!

Das Wort „gerade“ in unserem Leitspruch heißt, dass unser Pferd sein Gewicht gleichmäßig auf die vier Gliedmaßen verteilt und nicht etwa asymmetrisch läuft. Ein Pferd, das nicht gerade ist, hat eventuell zu viel Gewicht auf der Vorhand oder belastet beispielsweise eine Schulter/ein Vorderbein deutlich mehr als das andere, oder aber es folgt mit der Hinterhand nicht der Spur der Vorhand, sondern weicht aus. Um dieses Gleichgewicht zu erreichen und unser Pferd gerade zu richten, bedienen wir uns der Seitengänge, die ich in den folgenden Kapiteln beschreiben werde. Beobachten Sie, wie obiger Leitsatz heutzutage oftmals interpretiert wird: Reite dein Pferd in überhöhtem Tempo geradeaus um die Halle. „Vorwärts“ wird hier mit „schnell“ gleichgesetzt und das überaus komplizierte Geraderichten des Pferdes versucht man durch Geradeaus-Reiten zu erreichen. Jedoch genügt die reiterliche Einwirkung nicht, um einen großen und massiven Pferdekörper durch bloßes Geradeaus-Reiten in sein Gleichgewicht zu bringen. Vielmehr bedarf es eines ausgeklügelten Gymnastizierungskonzeptes, welches die Seitengänge als Mittel zum Zweck beinhaltet. Diese werden heute oftmals nur eingeübt, um sie auf dem Turnier korrekt  ausführen zu können. Dieses Vorwärts = Schnell und Gerade-Richten = Geradeaus-Reiten ist eine unqualifizierte Auslegungsweise des Leitsatzes und vereinfacht die Reitkunst auf naive Weise. Jene Reiter, die so verfahren, werden niemals gerade und wahrlich vorwärts gerittene Pferde ausbilden. Aufgrund dieser Fehlinterpretation eines großen Reitmeisters werden die Reiter, die nicht in die Tiefe der Materie eindringen, niemals in den Genuss wahrer Versammlung gelangen und gerade die Piaffe wird für sie ein ewiges Mirakel bleiben. Daher sollte man sich hüten, die Reitkunst oberflächlich zu betreiben und zu glauben, man hätte bereits nach einigen Jahren die Zusammenhänge erfasst. Die klassische Reitkunst verlangt ein tiefes Studium und nur derjenige, der immer wieder an sich zweifelt, der hinterfragt und die Werke anerkannter Reitmeister zu Rate zieht, wird vor groben Irrwegen gefeit sein.

Auch zu dem oft erwähnten „Schwung“ möchte ich aus dem Buch von Sylvia Loch „Reitkunst im Wandel“ zitieren: „Schwung! Schwung! Wie viele Irrtümer sind in deinem Namen begangen worden! Einer der häufigsten und schlimmsten ist der, junge Pferde in schnellem Tempo durch energische Schenkelhilfen, unter dem Vorwand, ihren Schwung zu entwickeln, vorwärts zu treiben. Ein weiterer Irrtum ist es, das Pferd, das bis jetzt weder Schenkel- noch Zügelhilfen richtig versteht, unter dem Vorwand, eine „Spannung“ für diesen berühmten Schwung zu erzeugen, „in die Hand hineinzutreiben“. Ein solches Verhalten ist nichts anderes als ein gleichzeitiges Treiben und Ziehen, wenn es auch oftmals mit klugen Worten umschrieben wird, um es in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Bein! Bein! Reite vorwärts! Treibe das Pferd in die Hand hinein! Auf diese Weise kann man das Pferd sicherlich zwingen vorwärts zu gehen, es wird jedoch niemals schwungvoll gehen und damit seinen Gehorsam unterstreichen.“ Der wissbegierige Reiter wird also erst im Laufe seiner Praxis den Begriff des „Vorwärts“ verstehen lernen. Ein Buch reicht in diesem Fall nicht aus, um diesen doch recht schwierigen Sachverhalt komplett zu vermitteln. Nach und nach wird der Reiter zu Pferde erfühlen, welches Pferd wahrhaft „vorwärts“ geritten, sprich an den Hilfen ist und welches ein bloßes schnelles Daherlaufen zeigt. Dann aber bekommt für ihn der Inhalt vieler Reitlehren eine andere Dimension.  

Anja Beran


Auszug aus dem Buch „Aus Respekt“

Anja Beran

Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: Kosmos Verlag

 

ISBN-10: 3440152529
ISBN-13: 978-3440152522

Und hier könnt Ihr das Buch bestellen

 


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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“

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