Der tapfere Olli

14. November 2016

Meine Geschichte | Chiara-Marie Marqués Berger | 22.11.2016

 

Chiara-Marie Marqués Berger ist 17 Jahre alt und besitzt gemeinsam mit ihrer Familie den imposanten Friesenwallach Olof, Spitzname Olli, mit fast bodenlanger Mähne. Im Jahr 2015 haben sie mit Olli eine Tragödie erlebt, die die ganze Familie vor schweren Entscheidungen stellte.

An seinem ersten Weidetag brach sich Olli das Becken doppelt. Bis heute kann sich niemand erklären, wie es zu diesem Unfall kam. Wie Chiara-Marie mit ihrer Familie diese schwere Zeit durchstand und schließlich erfolgreich meisterte, beschreibt sie lebhaft und spannend:

Seit drei Jahren haben wir nun unseren zwölfjährigen Friesen Olli, eigentlich Olof jr. Kyzom, er ist unser erster Friese, nachdem wir sehr lange gesucht haben. Schon vom ersten Moment an hatten wir daher auch sehr viel Freude mit ihm. Gemeinsam mit anderen Pferden steht er im Offenstall, damit von Mai bis Oktober auch vierundzwanzig Stunden auf der Koppel und kann mit seinen Herdenmitgliedern den Sommer auf den Weiden genießen. Doch auch bei der Dressurarbeit ist Olli immer mit viel Freude und Eifer dabei und freut sich über das Lernen neuer Lektionen. Wir waren mit ihm auf einem sehr guten Weg, auch mithilfe unserer Bereiterin und Reitlehrerin, als uns letztes Jahr im Mai ein schwerer Schlag traf, als Olli sich beim ersten Tag auf der Weide, am 02. Mai 2015, auf unerklärliche Weise verletzte. Wir wissen bis heute den genauen Grund nicht, und können somit nur mutmaßen, dass er möglicherweise gegrätscht ist oder von einem anderen Pferd verletzt wurde. Als der Hofbesitzer jedenfalls am Abend alle Pferde in den Offenstall holen wollte, konnte er sich nicht mehr bewegen und zitterte am ganzen Körper.

Sofort wurde der Tierarzt gerufen, mit dessen Hilfe wir Olli in den Pferdehänger verladen wollten, um ihn in die Klinik zu bringen. Doch Olli konnte kaum auftreten und es war eine Tortur, bis er endlich über die ganze Weide bis in den Hänger gebracht worden war. In der Klinik angekommen war die Vermutung der Tierärzte eine Fraktur oder ein Bruch des Beckens, doch exakt konnte dies vorerst nicht bestätigt werden, denn eine Röntgenuntersuchung konnte nicht gemacht werden, dazu hätte man ihn auf den Rücken legen müssen mit der Folge, dass er nicht mehr hochgekommen wäre. Der erste Tierarzt, der ihn nach dem Unfall sah, wollte ihn sofort einschläfern, weil er ihm kaum Heilungschancen ausrechnete und weil ihm bewusst war, wie viele Folgekomplikationen es geben kann durch das lange Stillstehen, was aber die einzige Möglichkeit für eine Heilung wäre.

Doch weil Olli erst seit dieser kurzen Zeit bei uns war, wir ihn natürlich sehr ins Herz geschlossen hatten und ihn unmöglich aufgeben konnten, entschieden wir uns dafür, der Heilung und damit Olli selbst eine Chance zu geben. Doch in der ersten Klinik konnte keine Diagnose gegeben werden, weshalb uns empfohlen wurde, die einzige mögliche Untersuchungsmethode, Szintigrafie, in einer anderen Klinik machen zu lassen. Aus dieser Untersuchung könnte damit der Bruch lokalisiert und die Heilungschancen bemessen werden. So kam Olli übergangsweise einige Tage wieder zu uns in den Stall, wo wir ihn mit zwei Stricken rechts und links am anbinden mussten, damit er sich auf keinen Fall hinlegt.

Für die Szintigrafie musste er vier Wochen nach der Verletzung in eine andere Tierklinik gebracht werden, was zur Folge hatte, dass wir seinen Bruch erneut durch Verladen belasten mussten, doch es war die einzige mögliche Untersuchung.

Es stellte sich heraus, dass sich Fraktur wirklich am Becken befand und dass dieses gleich zweimal angebrochen war. Die Heilungschancen bei dieser doppelten Fraktur waren 50:50. Die Therapie aus schulmedizinischer Sicht war 3 -6 Monate kurz angebunden stehen und Schmerzmittel, mehr konnte aus Sicht der Tierärzte nicht gemacht werden. Auch selbst dabei konnten sie nicht vorhersagen, wie der Knochen zusammenwachsen würde, ob eine stabile und belastbare Knochenbrücke gebildet würde oder ob es möglicherweise so zusammenwachsen würde, dass die Beweglichkeit eingeschränkt wäre.

So wurde er wieder angebunden in seine Heimatbox gestellt und wir haben auch neben der schulmedizinischen Variante alles ausprobiert, was wir aus Erfahrung anderer empfohlen bekommen hatten. Zuerst einmal bekam er viel Calcium, um das stabile Zusammenwachsen zu fördern. Es wurde uns außerdem eine Heilpraktikerin und Osteopathin empfohlen, die solche Frakturen wie beim Menschen mit Mikrostrom behandelt und zusätzlich homöopathische Mittel hinzugibt. Die Mikrostrombehandlung bekam Olli in zehn, regelmäßigen Sitzungen, um das Knochenwachstum zu fördern.

Leider wurde auch das Hinterbein dick, auf dem er viel Gewicht aufnehmen musste wegen dem Bruch, ebenso auch der Schlauch, weshalb wir schnell jemanden finden mussten, der Lymphdrainage macht. Zu Hause haben wir dann eine Pferdephysiotherapeutin gefunden, die ihm sehr schnell helfen konnte. Auch wir selbst haben die Beine dann dauerhaft mit Kühlbandagen gekühlt, dass sie nicht so dick wurden.

Nach zehn Wochen zeigte sich tatsächlich erstmalige Besserung und Olli konnte die verletzte Seite ein wenig belasten. So begannen wir, langsam und ganz kurze Strecken aus der Box heraus und wieder zurück, mit ihm zu gehen, um ihn an die Bewegung wieder zu gewöhnen und die Muskeln wieder an Last zu gewöhnen, die durch das lange Stehen drastisch abgenommen hatten. Um seine durch das Stehen entstandenen Blockaden zu lösen und ihn gerade zu richten, zogen wir ebenfalls eine Chiropraktikerin und eine Osteopathin hinzu.

Olli bekam Mash und leicht Verdauliches, damit er nicht zu viel Bewegungsdrang entwickelte, aber wir konnten leider trotzdem nicht verhindern, dass er sich (obwohl beidseitig kurz angebunden) eines Nachts hinlegte. Es stellte sich heraus, dass er eine Blinddarmverstopfung durch das Stehen bekommen hatte und sich deshalb abgelegt hatte. Dies war laut den Tierärzten ein sicheres Todesurteil für Olli, denn gerade war der Bruch ein wenig zusammengewachsen. Natürlich kam er auch von alleine nicht mehr hoch und wir sahen wenig Chancen, ihm noch helfen zu können. Doch zum Glück stand er in einer Außenbox und so begannen wir gemeinsam mit unserem Hofbesitzer eine waghalsige Rettungsaktion, in der wir ihn mit dicken Schlaufen, befestigt an einem Traktor, behutsam und ganz langsam aus der Box zogen. Diese Schlingen hatten wir nun unter Ollis Bauch hindurchgeführt, um die waghalsige Rettungsaktion weiter fortzuführen: Unser Hofbesitzer Sven ist ein wahrer Held, denn diese Aktion war reif für „Wetten dass“. Zentimeter für Zentimeter richtete er Olli mit der Traktorgabel langsam auf, bis kurz über dem Boden, und ließ ihn dann ab. Würde er stehen können oder war das Becken wieder nachgebrochen? Er stand! Und er konnte zurück in die Box humpeln! Wir haben uns noch nie so über ein humpelndes Pferd gefreut…Jeder Schritt war ein Geschenk! Wie selbstverständlich nimmt man sonst alles, was ein Pferd für uns tut. Seit diesem Ereignis ist das für uns anders. Wir sind viel dankbarer für alles, was wir an ihm haben und was wir mit ihm erleben dürfen.

Von diesem Moment an ging es immer weiter bergauf und wir konnten langsam anfangen, mit ihm grasen zu gehen, ihn zum Putzen herauszuführen und ein paar Schritte mit ihm hin und her zu gehen sowie die ersten Wendungen zu machen. Schließlich begannen wir mit Longenarbeit und Training am langen Zügel, um seine fast völlig verschwundene Muskulatur langsam wieder aufzubauen. Schon knappe sieben Monate später war es soweit und unsere Tochter Chiara konnte Olli das erste Mal wieder reiten. Diese lange und anstrengende Zeit, der große Einsatz und das Zittern und Bangen hatte sich gelohnt, denn auch wenn der Bruch so zusammengewachsen ist, wie er gebrochen ist, nämlich etwas schief, ist Olli heute nun seit mehreren Monaten wieder voll reitbar. Wir alle können mit Olli sowohl Dressur, als auch im Gelände genau wie vorher reiten und sogar bereiten lassen.

Niemand hätte das für möglich gehalten und wir wollen allen Mut machen, ihrem Pferd auch diese Chance zu geben. Das Vertrauensverhältnis ist so in die Tiefe gewachsen und aus dem etwas schreckhaften Olli ist ein zutraulicher Freund geworden, mit dem uns all das tief verbindet.

„Wenn der Mensch je eine große Eroberung gemacht hat, so ist es die,
daß er sich das Pferd zum Freunde gewonnen hat.“

Chiara

 

Wer Olli und Chiara näher kennen lernen möchte, kann sie gerne auf Instagram und YouTube unter „horsesoulmates“ besuchen!

 

Fotos: Bettina Rittler

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