Warum das „Umstellen“ auf gebisslos Reiten Sinn macht

30. Juli 2018

Ausbildung | Monika Lehmenkühler 

Um nicht sogleich mit dem dicken Holzhammer um die Ecke zu kommen, werde ich versuchen diesen Text bewußt NICHT mit den gravierenden und vielfach belegten gesundheitlichen Problemen die mit einer Gebissnutzung einher gehen, zu beginnen.

Vielmehr möchte ich versuchen mich hier im Schwerpunkt auf die positiven Aspekte beschränken, (was zugegebenermaßen nicht so einfach wird) welche eindeutig darlegen, warum es mehr als nur Sinn macht, doch auf ein Gebiss im zarten Pferdemaul zu verzichten.

Ich kann bestätigen und belegt ist es von anderen Stellen auch, daß die Pferde deutlich konzentrierter und daraus resultierend auch motivierter mitarbeiten. Zurückblickend auf meine langjährigen Tätigkeit als Pferde- und Reitausbilderin und zurückblickend auf 20 Jahre herkömmliche Reiterei bis hin zu Grand-Prix-Lektionen mit Gebissen und nunmehr bereits weit über 20 Jahren ohne jegliche Gebisse im Pferdemaul. Also eine lang zu nennende, intensive Sicht auf beide Aspekte.

Warum ist das so, warum sind die Pferde konzentrierter und motivierter ohne ein Gebiss im Maul? Nun, die Pferde brauchen sich weder mit den aus der Gebissnutzung resultierenden Schmerzen, noch mit der aus der Wissenschaft belegten Atemproblematik und sogar noch einigen anderen schwerwiegenden Problemen auseinander setzen. All diese wahrhaft starken Stress- und Schmerzkomponenten fallen schlicht und ergreifend weg. Denn konzentriert sich das Pferd auf gravierende widersprüchliche Reize, ist es unzweifelhaft an anderer Stelle deutlich weniger bei der Sache.

Dieser Bericht hier, soll jedoch keiner einzig nur Schönmalerei zum gebisslosen Reiten dienen, denn auch manche gebisslose Zäume (z.B. Serreta oder die mechanische Hackamore) können den Pferden nicht nur großes Unbehagen, sondern sogar Schmerzen zufügen. Allerdings sollte man schon mit gesundem Menschenverstand abwägen, wo das Schmerzempfinden eines Tieres (und auch des Menschen) wohl am höchsten ist. Unstrittig und für jeden leicht nachvollziehbar sind dies die Geschlechtsregionen und das Innere des Maules. Als ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt, wirkt ein Gebiss zumeist über Metall/Eisen auf das sehr empfindsame Maul und im Falle z.B. des LG-Zaumes oder eines Sidepulls, mittels Leder oder Seil auf dem knöchernen Nasenrücken.

Aber zurück zur eigentlichen Thematik und zu den positiven Effekten.

Ohne ein Gebiss im Pferdemaul ist überdies die allseits so begehrte Hinterhandaktivität und damit einhergehend natürlich auch die Tragfähigkeit der Hinterhand sofort bedeutend leichter zu erreichen. Warum das? Als Beispiel, treten nachvollziehbar bei einem lockeren, unangerührten Kiefer u.a. auch auf lange Sicht, eher wenig bis keine Kiefer-Blockaden auf, die wiederum nachweislich zu Blockaden sogar bis in den Lendenwirbelbereich führen können. Hier nur ein Beispiel von vielen: Eine sehr versierte Springreiterin (Bundeschampionate und Erfolge bis S-Springen) bestätigte mir vor einiger Zeit ganz begeistert, daß sie den Unterschied sofort bemerkte. Speziell auch bei ihrem jungen Nachwuchsspringer (qualifiziert fürs Bundeschampionat), der gerne hier und da mal seine Hinterbeine über dem Sprung hängen lies und dadurch Fehler machte, wäre dies ohne Gebiss mit dem LG-Zaum wie weggezaubert. Sie beteuerte, daß sie diese positive Entwicklung darauf zurückführen könne und beklagte mir gegenüber dann aber gleichzeitig, daß sie ihren Jungster leider aufgrund der FN-Vorschriften auf Turnieren so (gebisslos) nicht vorstellen könne.

Weiterer Vorteil: Durch die bessere Sauerstoffversorgung und optimale Entsorgung der verbrauchten Luft aus der Lunge und dem damit verminderten Stress, ist das Pferd also ohne ein Gebiss im Maul bedeutend und sogar überprüfbar, Leistungsfähiger und -williger. Der Sauerstoffgehalt im Blut wird durch den Fremdkörper im Maul – und dem dadurch zwangsläufig entstehenden Reflexkonflikt – nicht mehr so leicht herunter gesetzt. Erkennbar übermäßiger Sabber/Speichel dient in Wahrheit als untrügliches Zeichen dafür, daß der Parasympatikus aktiviert ist. Damit der Körper alle Kraft auf das lebenswichtige Futter, also auf das Fressen, den Fressreiz konzentrieren kann, drosselt dieser Teil des vegetativen Nervensystems wohl sogar Herzschlag und Atmung. Des Weiteren setzt es die Muskelaktivität herunter und bremst dazu noch die Aktivität des Gehirns. Wo wir auch wieder bei der nachvollziehbar besseren Konzentrationsfähigkeit wären.

Umstellung? Alleine die Wortwahl trifft den Kern der Sache nicht wirklich. Warum? Weil wir mit der Entscheidung gegen ein Gebiss, lediglich einen Fremdkörper im Maul, zur Kontrolle und Einwirkung auf das Pferd, WEGLASSEN und durch, für das Pferd eher nachvollziehbaren Druck und Impuls, auf äußere, deutlich weniger schmerzempfindliche Körperregionen, ersetzen. Warum sollte ein Pferd den Druck/Zug auf das so sehr empfindsame Maul besser nachvollziehen können, als den weniger schmerzhaften Druck mittels deutlich sanfterer Materialien wie z.B. Leder? Jeder weiß doch, daß ein Lernprozess über sanftere und nachvollziehbare Lehrmethoden auch beim Menschen weniger Widerstand und mehr Vertrauen erzeugt und damit den Lernprozess erwiesener Maßen beschleunigen und gravierend vertiefen kann!

Tatsache ist, von klein auf kennt das Pferd den Impuls über z.B. ein Halfter, dessen Druck es als sehr viel natürlicheren Impuls bereits verinnerlicht hat und diesem nachgibt. So wie es gelernt hat, ebenso kurzzeitigem Druck seiner Artgenossen nachzugeben und entsprechend zu reagieren, zu gehorchen. Ja, ein Pferd lernt sein Leben lang unangenehmem Druck besser aus dem Weg zu gehen, bzw. diesem nachzugeben. Sprich, den Weg des geringsten Wiederstandes zu wählen. So sind sie ihr Leben lang ausgerichtet. Dies ist ein Baustein den sich Menschen seit ewigen Zeiten zu nutze machten, um mit Pferden zu kommunizieren. Übrigens an dieser Stelle, mit die erfolgreichsten Reitervölker waren ohne Gebiss und auch ohne Sattel unterwegs! Wobei es natürlich in der Geschichte und heute immer auch jene gab die den reelleren Weg abkürzen wollten, indem sie sich sich über Gewalt und Schmerzen die Pferde zum Untertanen machten. Dieses Vorgehen hat sich kurzzeitig und für schnelle Erfolge leider oft genug bewährt und ist ja zudem auch überliefert. – Allerdings wenn es zu einer wirklich brenzligen Situation kommt, wird dieses „Gebäude“, aufgrund des eher wackligeren „Fundaments“, sehr viel schneller einstürzen … und nachvollziehbar wird es zudem auch nicht so langlebig sein, also einer jahrelangen Beanspruchung ohne gravierende Schäden stand halten!

Aber nochmal in der Kürze: Eine sogenannte „Umstellung“ vom Gebissreiten auf das gebisslose Reiten findet vielmehr im Kopf des Menschen statt und eher nicht beim Pferd.

Beitrag von Monika Lehmenkühler ® der Fachkompetenz für gebisslose Zäume und Ausbildung


Über die Autorin:

Durch Ihr Pferd „Marti“, der schwere und sehr offenkundige Probleme mit Gebissen hatte, begann Monika Lehmenkühler bereits in den 90iger Jahren mit gebisslosen Zäumen zu experimentieren. Keiner der auf dem Markt befindlichen gebisslosen Zäume war optimal, so daß sie ihre Reitweise modifizierte und den LG-Zaum entwickelte.

Ab 1998 erteilte sie konsequent allen Gebissen den Laufpass und ritt von da an nur noch und ausschließlich gebisslos, sogar bis hin zu anspruchsvollen Lektionen selbst der höchsten Dressur.

2002 übernimmt Monika Lehmenkühler einen Reitstall in Bensberg und eröffnete damit Deutschlands allererste gebisslose Reitschule.

 

Mehr Infos: www.lgzaum.de

Foto: Uli Weiler


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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“

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