Die Schulparade
15. November 2016
Ausbildung | Stefanie Niggemeier
Immer wieder hat die Lektion, die Schulhalt, Schulparade oder auch Falkade genannt wurde die Meister der Reitkunst beschäftigt. Doch kennt heute kaum noch jemand diese Lektion. Halbe Parade, Parade – dieser Begriff ist jedem Reiter wohl schon aus den ersten Unterrichtsstunden bekannt. Doch was ist eigentlich eine Parade? Woher kommt die Idee, mit der Hand auf das Pferd einzuwirken, um etwas zu verändern? Und was verändert die Parade eigentlich im Pferdekörper? Was genau ist der Sinn dieser Begrifflichkeit und worin bezieht sie sich auch heute noch auf ihren lateinischen Wortlaut?
Der Ursprung des Wortes kommt aus dem Lateinischen. Hier finden sich gleich zwei Worte: Das Verb „parere“ bedeutet „gehorchen, befolgen“, „parare“ meint „bereitmachen, (sich) vorbereiten“.
Zuerst einmal muss klar sein, dass, obwohl vermeintlich eine Tätigkeit mit der Hand, die Parade die Arbeit mit der Hinterhand des Pferdes ist. Den Pferdekörper zu unterteilen und zu denken, dass eine Einwirkung auf Nasenrücken, Zunge, Unterkiefer, Schädel und Genick losgelöst vom restlichen Pferdekörper sein kann, ist ein großer Trugschluss. Wir arbeiten immer mit dem ganzen Pferd, auch wenn vermeintlich nur ein Teil geformt wird. Der Körper des Pferdes ist ein aufeinander eingestellter Organismus. Wie ein Schweizer Uhrwerk muss jedes Rädchen an seiner Stelle seinen ihm zugedachten Dienst erfüllen, um den Mechanismus im Ganzen funktional am Laufen zu halten. So können schon minimale Abweichungen und Balanceverschiebungen dazu führen, dass einzelne Körperbereiche sich anders bewegen. So eine Balanceverschiebung – im positiven Sinn – ist auch die Parade.
Diese Einwirkung kann in verschiedenen Abstufungen erfolgen. Zum Beispiel gibt es die Achtelparade, die dem Reiter die Möglichkeit gibt, ins Pferd hineinzuhorchen und schon nach Verspannungen zu forschen, wenn sie noch im Entstehen begriffen sind. Die Viertelparade, die minimale Veränderungen im Pferd bringt, die die Frage stellt: „Könntest Du?“, „Würdest Du?“. Die Halbe Parade, die das Pferd ein klein wenig dazu bringt, die Vorhand zu entlasten, während es die Hinterhand mehr zum Schwerpunkt bringt, die den Wechsel von einer Gangart in eine niedrigere einleiten kann oder das Pferd in der Versammlung wieder ein wenig mehr auf die Hanken bringt. Und dann die ganze Parade, die Campagneparade, die das Pferd ganz zum Stehen bringt, indem man den Vorwärtsimpuls der Hinterhand mit Hilfe der Hand zum Stillstand bringt. Darüber hinaus gibt es auch noch die Schulparade, die dem Pferd hilft, diesen Impuls in die Hankenbeugung zu kanalisieren. Ab diesem Ausbildungsstand ist es dem Pferd möglich, den treibenden Impuls des Reiters auch mit dem stehenden Bein zu nutzen.
Wir finden die Arbeit mit der Parade und so auch die Arbeit mit der geschulten Parade oder Schulparade über die Jahrhunderte, ja Jahrtausende immer wieder in der Reitliteratur und in Abbildungen der darstellenden Kunst von zweckgebundener Kriegsreiterei oder Reitkunst. Von den Skythen bis zum Vaqueroreiter, von den alten Griechen bis zum neapolitanischen Krippenspiel – überall sind Pferde in der Schulparade abgebildet. Mag auch der Name dieser Lektion sich, wie bei einigen anderen Lektionen auch (zum Beispiel Croupe au Mur / Renvers oder Plié / Schulterherein) über die Jahrhunderte geändert haben, sprechen doch beispielsweise der Renaissancereitmeister Frederigo Pignatelli und der in der Zeit des Barock lebende Manoel Andrade von der Falkade für diese Figur, so bleibt doch der Bewegungsablauf immer der gleiche.
Der Moment vor der Levade, ein festgefrorener Moment in der Galoppade und die Form, die man dem Pferd zum optimalen Angaloppieren schon im Stand gibt, der Impuls, der das Pferd immer wieder in den Hanken nachgeben lässt, den Schub abkürzt und die Tragkraft maximiert – all das ist die Schulparade. Optisch sieht es so aus, als würde das Pferd vorne piaffieren, während es mit den Hinterbeinen eine Levade ausführt. Es setzt sich in der Hanke und beugt alle Gelenke der Hinterhand, daraus hebt es seinen Brustkorb, meist in einer der Stellung und Biegung entsprechenden Rotationsrichtung, so dass das Vorderbein angezogen wird, welches nicht mehr genug Platz zwischen Brustkorb und Boden findet. Darüber hinaus ist die Schulparade eine der Lektionen, die für die gründliche Ausbildung des Pferdes ein mehr als wertvolles Werkzeug sein kann. Sie erarbeitet Anlehnung, Durchlässigkeit und Versammlung und löst die Gelenke der Hinterhand in ganz bestimmter Weise, macht sie geschmeidig und bildet damit ein hervorragendes Pendant zur Arbeit mit der Piaffe oder dem Schulschritt. Dabei ist ihr Nutzen so groß, dass man sogar so weit gehen kann zu sagen, der einzige Grund ein Pferd zu piaffieren liegt darin, dass man eine Schulparade auch in Bewegung machen möchte.
Einer der Letzten, der die Schulparade in seinem Werk „Von der Koppel bis zur Kapriole“ (1946, Olms-Verlag) beschreibt ist Waldemar Seunig. Er unterschiedet deutlich zwischen ganzer Parade/ Campagneparade und der Schulparade, die, so seine Meinung: „…sich desto mehr der Vollkommenheit nähert, je größer der Anteil der Last ist, den das Pferd mit gebeugter Hinterhand aufnimmt und je länger es in dieser versammelten Haltung bei sicherer, leichter Anlehnung und vollkommener Aufrichtung und Beizäumung unbeweglich zu verbleiben imstande ist.“ Seunig schreibt weiter: „Die Hilfe zu dieser Schulparade wird – ausreichende Schwungentwicklung vorausgesetzt – in einem vom Kreuz ausgehenden Straffen des Sitzes bestehen. Zugleich erhält der beiderseits aus gestreckt anliegendem Bein wirkende Schenkel die gebeugt unterlaufene Hinterhand unter der Last. Dabei muss der gleichzeitige, auf beide Hinterbeine wirkende Zügeldruck von diesen widerstandslos aufgenommen werden. Im Sinne einer, bei vollster Erhaltung des Strebens nach vorwärts bis an die Grenze der Tragfähigkeit gehenden Schulparade, ist die Levade – eine mit nach vorwärts gerichteter Tendenz stattfindende schulmäßige Hebung – deren zur Höchstform entwickelte Steigerung.“ (Seite 332, Z. 11 ff). In der Idee zur Erarbeitung dieser geschulten Parade unterscheidet er sich nur unwesentlich von Xenophon. Schon rund 2400 Jahre vorher beschreibt dieser die Erarbeitung der Bewegungsabläufe:„Wenn man das Pferd aber mit dem Zügel zurückhält, während es die Hinterhand nach vorn untersetzt, so beugt es die Hinterbeine in den Hanken, die Vorhand aber hebt es in die Höhe, so dass den Gegenüberstehenden Bauch und Schamteile sichtbar werden“ (Xenophon, „Über die Reitkunst). Xenophon spricht davon, dass ein Pferd in Versammlung „etwas so Schönes, so Bewunderns- und Staunenswürdiges [ist], dass es aller Zuschauer Augen, sowohl junger, als auch älterer, auf sich zieht.“
William Cavendish, Herzog von Newcastle sagte, die ganze Kunst sei es, das Pferd auf die Hanke zu bringen – im Grunde ist damit alles über die Funktion der Parade gesagt. Wird die Parade in der Reiterei heute meist genutzt, um in Bewegung eine Veränderung in Tempo, Takt, Schwung, Form oder Balance zu erreichen und arbeiten wir die Schulparade selbstverständlich auch aus der Bewegung heraus, so gibt es mittlerweile auch wieder die meist in Vergessenheit geratene Arbeit mit der im Stehen ausgeführten Schulparade, um die angestrebte Hankenbeugung als Bewegungsablauf im Pferdekörper zu etablieren.
In den letzten Jahren haben Bent Branderup, Gründer der Akademischen Reitkunst und seine Schüler sich wieder vermehrt mit der Schulparade beschäftigt. Mittlerweile hat sich die Arbeit mit der Schulparade in der Akademischen Reitkunst einen festen Platz gesichert und konnte bei vielen Pferden einen wertvollen Beitrag zur Ausbildung oder einen optimalen Einstieg in die versammelnde Arbeit geben.
Vor allem die Arbeit am stehenden Pferd, auch moderne akademische Pilarenarbeit genannt, steht zur Zeit bei ihm viel im Fokus und ersetzt bei ihm die vorher seit vielen Jahrhunderten etablierte und bis vor gut 100 Jahren übliche konventionelle Pilarenarbeit (zum Beispiel Baron von Holleuffer:„Die Bearbeitung des Kutsch- und Reitpferdes zwischen den Pilaren“ 1896).
Die Arbeit auf der Stelle zwischen den Pilaren, die spätestens seit den Zeiten von Pluvinel und Newcastle ein wichtiger Bestandteil zur Ausbildung des Reitpferdes war, wird heute aufgrund ihres großen Gefahrenpotentials nur noch von wirklichen Meistern der Reitkunst ausgeübt. Völlig zu recht, fehlt dem Laien sowohl Erfahrung, als auch das nötige Feingefühl für die korrekte Ausbildung des Pferdes in dieser Art und Weise.
Hier also setzt Branderup an, indem der dem Reiter ein Instrument gibt, mit dem er sein Pferd schon vor dem Antreten vom Boden aus an der Hand gymnastizieren kann. Später wird diese Arbeit in den Sattel übertragen und schult den Reiter und das Pferd, er kann Zügel-, Gewichts- und Schenkelhilfen ganz exakt und mit größter Präzision und Ruhe geben. Dem Pferd fehlt jede Möglichkeit zur Ausweichbewegung – sozusagen Reitkunst auf das Absolute konzentriert.
Im Stehen wird zuerst die Schulterfreiheit erarbeitet, es findet nicht nur eine Gewichtsverlagerung in Richtung Hinterhand, sondern ein komplettes Platzieren der Wirbelsäule zwischen den Schultern und darauf folgend, sowie daraus resultierend dann ein Lösen der Gelenke der Hinterhand statt. Schon im Stehen kann der Reiter gezielt Spannungen beseitigen und im Pferdekörper werden die Bereiche durchblutet und versorgt, die zum Reiten notwendig sind. Die Schulparade ist also das Fehlen jeglicher Widerstände zwischen der Hand des Reiters und dem Hinterfuß des Pferdes.
Frederico Mazzuchelli hat sich bereits 1805 mit der begrenzten Möglichkeit des Nachgebens ins Vorwärts bei der Pilarenarbeit beschäftigt und ersann zu diesem Zwecke die Langzügelarbeit und die Arbeit mit der Doppellonge. Der Nachteil der Methode der Arbeit mit dem Langzügel ist jedoch die fehlende Möglichkeit, die Schulter zu bearbeiten und die Hilfengebung eins zu eins in den Sattel mitzunehmen. Bei der Schulparade besteht diese Gefahr nicht.
Wir kennen so elf verschiedene Schulparaden, die sich aus der Schwungrichtung des Brustkorbes aus der Hinterhand erklären: links geradegerichtet, versal (schulterhereinartig), traversal (kruppehereinartig), renversal (kruppeherausartig), pirouettenartig, rechter Hand ebenso und die gerade-gerade Schulparade, wie wir sie bei Baron Reis von Eisenberg oder Ridinger sehen und die letztlich in der geraden-geraden Levade ihre volle Lastaufnahme findet.
Wird das Pferd schon im Stehen die gewünschte Form einnehmen, tritt einem korrekten Antreten nichts mehr im Weg und schon ab dem ersten Schritt kann das Pferd die Lektion in Perfektion auszuführen lernen. Daraus kann man das Pferd in entsprechender Schwungrichtung jederzeit wieder zurücknehmen in eine der Kraftrichtung entsprechende Schulparade. Hierzu sagt Steinbrecht: „Die Parade wird sich umso mehr der Vollkommenheit nähern, je sorgfältiger das Pferd in gebogenen Lektionen vorbereitet war, und je feiner der Reiter das Verhältnis der verwahrenden und vortreibenden Hilfen in derselben abzuwägen versteht, damit Hankenbeugung, Aufrichtung und Beizäumung in voller Harmonie mit einander seien.“
Arbeiten wir die Schulparade in Innenstellung und -biegung, wird der Brustkorb aus der vorgelagerten inneren Hüfte auf der Innenseite nach unten rotieren, bis schließlich das Vorderbein keinen Platz mehr zwischen Brustkorb und Boden findet und angezogen wird. Dabei „setzt“ das Pferd sich in der Hinterhand. Bei der geraden Schulparade bleiben beide Vorderbeine am Boden. Sie kann dann zur geradegerichteten Levade weiter forciert werden.
Neben der Richtungsgebung des Brustkorbs in Richtung versalen oder traversalen Schwungs kann die Balance, wie sehr schön bei von Weyrother bildlich festgehalten, den Schwerpunkt des Pferdes im Stand in Richtung Hinterhand verlagern, mit einhergehender Beizäumung und Beugung der Hanken.
Weyrother, dessen Familie traditionell mit der Spanischen Hofreitschule Wien verbunden hatte durch seinen Großvater Adam von Weyrother, der nachweislich des Öfteren in Paris zu Besuch bei Francois Robichon de la Gurérinière gewesen war, offenbar große Einflüsse der französischen Schule in seiner Arbeit mit den Pferden. Im Gegensatz zur „englischen Reiterei“, die wie schon Guérinière beklagt, „mit einer gar zu nachlässigen Ausübung“ (aus F. R. de la Guérinière, Reitkunst oder Gründliche Anweisung, Olms Verlag) der Kunst nicht genug gewürdigt wurde, hatte Guérinière sich auf seine Fahnen geschrieben, sich „um die schönsten und schwersten Schulen“ zu bemühen. Dieses Gedankengut setzte sich, auch ein Einfluss Weyrothers, in der Arbeit in Wien fort und ist bis heute fester Bestandteil der Direktiven.
Zur Schulung der „schönsten und schwersten Schulen“ sind neben der Schulung der Hankenbeugung, die elementar für eine Schullektion und ein maßgebliches Charakteristikum dieser ist, ein weiterer grundlegender Baustein auch die völlige Durchlässigkeit des Pferdes. Nur so sind solch komplizierte Bewegungsabläufe, wie wir sie auf den Kupferstichen von Guérinière, aber auch Johann Elias Ridinger sehen, möglich. Zur Schulparade schreibt Guérinière: „Die Parade ist die Wirkung der Bewegung der Zügelhand, wenn man damit den Kopf des Pferdes und die übrigen Teile der Vorhand verhält, und zu gleicher Zeit die Hanken mit den Waden sanfte vortreibt, so dass der ganze Körper des Pferdes sich in dem Gleichgewicht hält, indem es auf seinen Hinterschenkeln und Hinterfüßen bleibt. Diese Schule, die sehr nützlich ist, um ein Pferd leicht in der Hand und angenehm für den Reiter zu machen, ist für das Pferd bei weitem schwerer als das demselben viel natürlichere Wenden.“
Wie man sieht, unterscheidet sich auch Ridingers Lehre nicht allzu sehr von Xenophon in der Antike, als auch Seunig in der Moderne.
Friederich von Krane (1812- 1874) beschreibt dem Leser die korrekte Ausführung der Parade in seinem Werk „Die Dressur des Reitpferdes (Campagne und Gebrauchspferdes)“, (Münster, 1875) mit diesen biomechanischen Abläufen im Pferdekörper und deren Erarbeitung:„Schließlich erlaube ich mir die Bemerkung, dass es sehr nützlich ist, das Biegen der Hinterhand auf der Stelle zu üben. Man beginnt damit, die Hinterbeine untertreten zu lassen, wie zum Zurücktreten, dann aber statt durch Überwiegen der Zügelhülfe ein Zurücktreten zu veranlassen, mit gleichstarken Zügel- und Schenkelhilfen fortzufahren, die Versammlung zu erhöhen, wobei das Körpergewicht die vermehrte Hankenbiegung fordert, bis eine Neigung zum Heben der Vorhand und ein Suchen des Gleichgewichts auf die Hinterfüße erfolgt. Dies Heben der Vorhand kann nur sehr mäßig sein, weil die weit untergeschobenen Hinterbeine, wie wir bereits sahen, nur eine sehr geringe Erhebung beanspruchen.“ Weiter präzisiert von Krane:„Es gehört zur Parade auf der Hinterhand indess ein künstliches Auffangen des Gewichts und zwar bedarf es:
1) des Unterschiebens der Hinterbeine unter den Leib,
2) des Verlegens des Schwerpunktes durch Zurückneigen des Leibes über die Beine hinweg nach rückwärts,
3) des Biegens der Hinterbeine, wodurch die Erniedrigung der Hinterbeine vermehrt und so eine starke Senkung des Rückens herbeigeführt, und die Last den Beinen zugeführt wird.
Häufig wird das Gefühl des Hintentieferwerdens für eine Abwärtswölbung des Rückens angesehen, dagegen die Anstreifung der Gelenke des Beins für ein Festhalten des Rückens, und deshalb (ist) die Meinung fast allgemein geworden, dass bei der richtigen Parade eine Hergabe-Abspannung des Rückens stattfinden müsste.“
Diese entspricht ebenfalls der zu Beginn dieser Ausführung gestellten These, die Einwirkung der Hand findet seine Resonanz im gesamten Pferdekörper.
Eine geschulte Lektion unterscheidet sich von einer andressierten Lektion oder einem Zirkustrick auch vor allem dadurch, dass ihr Nutzen auch auf andere Lektionen übertragen werden kann. So kann die mit Hilfe der Schulparade erlernte Hankenbeugung die Versammlung und auch und vor allem die Grundgangarten verbessern, was einem Zirkustrick wie zum Beispiel der „Bergziege“ , dem „Steigen“ oder dem „Verbeugen“ nicht gelingen kann. Der Sinn einer Schullektion liegt also immer im „Großen Ganzen“ begründet und steht nicht als Selbstzweck, beziehungsweise erschwert eine weitere Ausbildung des Pferdes nicht, weil sie kontraproduktiv sein könnte. Was eine geschulte Lektion das Pferd lehrt, ist das Verstehen von natürlichen und naturgegebenen Bewegungsabläufen, die mühelos vom Stehen in den Schritt oder Schulschritt, vom Schritt in den Trab, die Piaffe und Passage und vom Trab in den Galopp, den Schulgalopp oder das Térre-à-Térre mitgenommen werden kann. Letztlich, so referiert Bent Branderup in seinen Seminaren so treffend: „Muskeln bewegen Knochen – egal in welcher Gangart.“
Je langsamer das Pferd die Parade durch seinen Körper laufen lässt, desto effektiver wird die Arbeit mit der Schulparade sein. Ähnlich der Arbeit mit dem Chi in den fernöstlichen Kampfsporttechniken, das langsam im Körper kanalisiert wird, hilft auch die Schulparadenarbeit dem Pferd dabei, sein Tsi ( sprich: Chi) gemäß dem ihm eigenen Primären Atemmechanismus in der Wirbelsäule und schließlich von der Hand des Reiters in den Hinterfuß und wieder zurück zur Hand fließen zu lassen, mal mehr zu einem Hinterbein, mal mittiger, mal mit mehr Energie, mal leiser. Es lernt, mit seinen Kräften hauszuhalten und findet seine Mitte – ein unschätzbarer Gewinn für die Balance. Ein Pferd in diesem Zustand lässt den Reiter den Hallenboden in der Hand spüren, es wird zum vollständigen Instrument des Wunsches des Reiters und beide vereinigen sich in diesem Moment völlig in ihrem Wollen und Tun. Diese Durchlässigkeit wird niemals mit Kraft zu erreichen sein, im Gegenteil geht es um ein Minimieren der Einwirkung, um die Arbeit am gemeinsamen Verschmelzen, dem zentaurenhaften Eins-Werden von Mensch und Pferd durch die Reitkunst.
Auch zur Entdeckung der Langsamkeit finden wir bereits vor hunderten von Jahren eine Beschreibung bei Ridinger, hier als Beschreibung der Parade im Galopp:„Die Parade oder das Stillhalten im Galopp, muss etwas stark mit Anziehung der Zügel und Zurückhaltung des Leibes, jedoch nicht affektiert, öfters auch nur mit der Stimme geschehen, damit das Pferd auf einmal auf der Stelle anhalte…“(Vorstellung und Beschreibung derer Schul- und Campagnepferden nach ihren Lektionen, Augsburg 1760). Auch Newcastle beschreibt die Parade aus dem Trab oder dem Galopp, die das Pferd in der Vorhand leichter und freier werden lässt, während die Hinterhand weit unter den Pferdelaib gebracht wird. Diese Form der Schulparade wird manchmal auch als Falkade bezeichnet.
Noch einmal in Zusammenfassung: Die Schulparade zeichnet sich dadurch aus, dass der mit der Reiterhand gegebene Impuls durch jedes Gelenk des Pferdekörpers zwischen Schädel und Hinterfuß fließt. Dabei wird der Impuls weitergegeben vom Nasenrücken oder je nach Zäumung dem Unterkiefer, auf das Genick und von dort in den Atlas, Axis und alle weiteren Wirbel, bis er von dort aus in die großen und schließlich die kleinen Gelenke der Hinterhand geführt wird wobei sich an keiner Stelle des Körpers Widerstände befinden. Die Schulparade ist die Erweiterung der ganzen Parade, der erste Schritt zu den Schullektionen und die optimale Möglichkeit dem Pferd das Thema Versammlung in größter Ruhe zu erklären. Sie gibt dem Pferd in einzigartiger Weise Stabilität im Rücken, festigt die Bauchmuskulatur, kräftigt die Faszien und sorgt für Balance. Sie entspricht den Lehren der Alten Meister über die Jahrhunderte hinweg und sollte in der Ausbildung eines jeden Reitpferdes einen festen Platz im Trainingsplan haben.
Bei der Erarbeitung der Schulparade sucht man sich am besten kompetente Hilfe, damit man nicht über einen der vielen Fallstricke auf dem Weg stolpert und mühsam oder unmöglich für Pferd und Reiter einen Weg aus dem Dunkel suchen muss. Auch muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass das Pferd bei falscher Erarbeitung großen Schaden nehmen kann – so wie bei allen Lektionen der Hohen Schule.
Stefanie Niggemeier
Über die Autorin:
Ausbilderin in Ostwestfalen und Schülerin von Bent Branderup
www.barocke-pferdeausbildung.de
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