Streitpunkt – Zügelführung

14. November 2016

Ausbildung | Kristina Conrädel 

 

Philosophien auf dem Prüfstand

Hoch oder tief, breit oder direkt am Pferdehals anliegend – es gibt viele verschiedene Möglichkeiten der Zügelführung. Und ebenso viele Aussagen darüber, wie die Zügel am besten geführt werden sollten. Zeit, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen!

Kontrolle – über das Pferd und über sich selbst!

„Die Zügel in die Hand nehmen!“, „Zügellosigkeit“ und „Die Zügel schleifen lassen.“: Das sind nur ein paar Beispiele aus der deutschen Sprache, die sich mit dem Thema Zügel beschäftigen. Eines haben sie gemeinsam: Es geht um Kontrolle, ob vorhanden oder eben nicht. Eben diese Kontrolle hat für viele Reiter einen wichtigen Stellenwert. Ob es die ersten Reitstunden, der Ritt auf einem fremden Pferd oder die Ausbildung eines jungen Pferdes sind – das Bedürfnis nach Kontrolle über das unberechenbare Lebewesen Pferd ist oft vorhanden.

Der Versuch über den Zügel Kontrolle auf das Pferd auszuüben ist immer wieder zu beobachten – mal um dem eigenen Sicherheitsgefühl entgegen zu kommen oder auch um sich selbst etwas zu beweisen. Mancher Reiter möchte eben selbstbewusst die „Zügel in die Hand nehmen“. Aber Achtung! An dieser Stelle liegt eine Fehlinterpretation der Zügelhilfe vor. Die Zügel sind nicht zur Kontrolle des Pferdes geeignet. Sie sind vielmehr Kommunikationsbrücken zum empfindlichen Pferdemaul. Eine Weisheit, die jeder Reiter zu Beginn seiner reiterlichen Karriere lernt. Doch oft genug wird dieser Punkt bei der weiteren Schulung des Reiters nicht sorgfältig genug beachtet. Das Erlernen einer sitzunabhängigen Zügelführung und eines zügelunabhängigen Sitzes wird zu oft nur am Rande in die Reitstunde einbezogen. Fortgeschrittene Reiter und vor allem Ausbilder profitieren von weitreichenden Kenntnissen darüber, welche Zügelführungen zur Korrektur des Pferdes möglich und geeignet sind. Ein Blick über den „Tellerrand“ weg von den eigenen Gewohnheiten kann sich lohnen, indem es das eigene Reiten bereichert. Sinnvoll ist es aber für jeden Reiter, auch für den noch nicht routinierten, sich bewusst Gedanken darüber zu machen, wie er die Zügel hält und seine Hilfen einsetzt, warum er genau diese Zügelführung wählt und welche Wirkung die Zügelführung hat.

„Der Zügel ist nicht zum Festhalten da!“

Diese Aussage ist häufig in den Reitbahnen zu hören, häufig in Verbindung mit einem Augenzwinkern. Allerdings ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass sich Reiter am Zügel festhalten, denn er gibt ihnen Halt und Orientierung. Gerade bei unerfahrenen Reitern kommt dieses Phänomen häufig vor und ist auch ganz normal. Als Reiter muss man das Gefühl und die Balance für den zügelunabhängigen Sitz erst lernen. Zum Beispiel fällt es Reitern oft schwer die Hände beim Leichttraben ruhig überm Mähnenkamm stehen zu lassen, die Hände folgen zu Beginn der Reiterlaufbahn oft einfach der Auf- und Abbewegung des Körpers. Mit der Zeit, der Entwicklung des Körpergefühls und unter kompetenter Anleitung lernt der Reiter seine Hilfen differenziert und unabhängig voneinander einzusetzen. Der zügelunabhängige Sitz ist Voraussetzung dafür, dass die Zügelhilfen zielgerichtet eingesetzt werden können.

Dressur ganz klassisch

Bei der klassischen Dressur, die auch von der FN vertreten wird, sind die Fäuste aufrecht etwa eine Handbreit über dem Mähnenkamm zu tragen. Die beiden Fäuste befinden sich etwa 2 Handbreit auseinander. Der Zügel verläuft zwischen dem kleinen und dem Ringfinger von unten nach oben. Die Daumen liegen dachförmig auf dem Zügel auf. Die Zügelhilfen sollten aus dem Handgelenk gegeben werden und so fein wie möglich sein. Sie werden nur in Kombination mit treibenden Hilfen eingesetzt. Der Zügel darf das Pferd in keine Form pressen oder eine bestimmte Haltung erzwingen. Es gilt sich immer bewusst zu machen, dass der Hals des Pferdes eine Balancierstange ist. Wenn dem Pferd gewaltsam diese Balanciermöglichkeit genommen wird, darf man sich nicht über dessen Gegenwehr wundern. Idealerweise ist die Verbindung zum Pferdemaul elastisch und nie starr oder springend. Manche Ausbilder streben auch einen durchhängenden Zügel an. Die Stärke der Hilfen wird dabei im Verlauf der Ausbildung immer feiner – nach und nach werden die Hilfen nahezu unsichtbar. Das ist jedenfalls das Ziel. Diese klassische Zügelführung stellt auch die Basis für andere Zügelführungen dar.

Hohe Hand – schädlich oder Wundermittel?

Immer häufiger ist zu beobachten, dass Trainer das Reiten mit dauerhaft hoher Handhaltung befürworten. Doch was steckt dahinter? Zunächst einmal verstärkt eine hohe Hand den Druck auf die Maulwinkel des Pferdes und regt damit zum Abkauen an. Weiterhin kann sie das Pferd in der Vorhand und im Widerrist so anheben, dass eine Bergauf-Tendenz entsteht. Ein vorderhandlastiges Pferd kann dementsprechend korrigiert werden, genauso wie auf diesem Wege die Selbsthaltung verbessert werden kann. Ein für die Dressurarbeit nicht unwichtiger Aspekt ist es auch, dass eine hohe Zügelführung eine äußerst feine Handeinwirkung erlaubt. Allerdings ist diese Zügelführung auch mit Nachteilen verbunden, denn sie kann – dauerhaft eingesetzt – schnell zu Verspannungen führen. Dann kann sich als Folge ein weggedrückter Rücken zeigen.

Die hohe Hand kann auch die Sitzbalance des Reiters erheblich negativ beeinflussen, indem er zum Beispiel in ein Hohlkreuz kommt oder seine treibenden Hilfen nicht mehr einsetzt. Insgesamt lässt sich sagen, dass diese Art der Zügelführung, die zum Beispiel auch von dem renommierten Ausbilder Philippe Karl gerne für die Impulsgebung eingesetzt wird, ein Korrekturmittel für ausbalanciert sitzende und fein einwirkende Reiter ist- also für Fortgeschrittene, die auch beurteilen können, wann ihr Einsatz sinnvoll ist. Am effektivsten ist die hohe Zügelführung, wenn sie nur temporär begrenzt eingesetzt wird und sich ständig mit der klassischen Handhaltung abwechselt.

Die tiefe Hand bäumt!

Die breite und tiefe Zügelführung ist eher aus der Westernreitweise bekannt. Einige Reiter arbeiten aber auch ihre Dressurpferde mit dieser Handhaltung. Man sollte zunächst beachten, dass bei einer tiefen Zügelführung, der Winkel im Ellenbogen größer ist. Die Schulter kippt schnell nach vorne und es wird schwierig, einen geraden Sitz beizubehalten. Deswegen sieht man diese Zügelführung häufig im Zusammenhang mit einem leicht entlastenden und nicht ganz aufrechten Sitz. Ziel ist es meist, eine geringe Hebelwirkung zu haben und insgesamt weich auf das Pferdemaul einzuwirken. Dabei wirkt die tiefe Hand stärker auf die Zunge und den Kiefer des Pferdes ein, was nicht unbedingt weicher ist als die Einwirkung der hohen Hand auf die Maulwinkel. Jedes Pferd reagiert anders auf diese unterschiedlichen Druckpunkte. Tendenziell reagieren die meisten Pferde mit einer tieferen Kopfhaltung auf die tiefe Zügelführung. Sie kann dementsprechend eine Vorwärts-abwärts-Dehnung bei Pferden begünstigen. Umgangssprachlich sagt man aufgrund dieser Wirkung auch, dass die tiefe Hand das Pferd „bäumt“. Es sollte nie Zweck dieser Handhaltung sein, das Pferd mechanisch herunter zu zwingen, und bei Pferden, die dazu neigen hinter die Senkrechte zu kommen, ist es sinnvoll auf diese Zügelführung zu verzichten, da sie das Problem deutlich verstärken kann. Des Weiteren ist es mit dieser Handhaltung deutlich schwerer differenzierte und fein abgestimmte Hilfen zu geben. Probieren Sie selbst einmal diese Zügelführung beim Reiten aus – Sie werden den Unterschied fühlen.

Es geht auch seitwärts

Diese Art der Zügelführung verwenden Reiter häufig bei jungen Pferden. Dabei wird eine Hand deutlich vom Pferd weg geführt, ohne den Zug auf das Gebiss abzuschwächen oder zu verstärken. Sie darf nie gleichzeitig mit einer rückwärts gerichteten Zügelhilfe eingesetzt werden, das wäre kontraproduktiv. Das kann sinnvoll sein, um dem noch unerfahrenen Pferd deutlich die Richtung anzuzeigen, in die man abwenden möchte. Dasselbe gilt für die Erarbeitung von Seitengängen. Hier kann eine seitwärts weisende Hand die rettende Lösung sein, wenn das Pferd nicht versteht, was es machen soll. Bei fortschreitender Ausbildung des Pferdes wird diese Zügelführung mit der Zeit überflüssig.

Überstreichen – wie macht man das?

Beim Überstreichen wird die Zügelverbindung für zwei bis drei Pferdelängen vollständig aufgegeben. Die Hände werden zwei bis drei Handbreit entlang des Mähnenkamms nach vorne geführt. Das Pferd sollte dabei in Selbsthaltung bleiben, ein leichtes Öffnen des Genicks ist aber zu gestatten. Wenn das Pferd in Haltung bleibt und dabei Takt, Tempo und Schwung nicht verliert oder verändert, kann man davon ausgehen, dass es in Selbsthaltung geht. Diese Übung entlarvt Pferde, die den Zügel noch als Stütze benutzen, aber auch Reiter, die sich am Zügel festhalten. Nicht so bekannt aber unheimlich wertvoll ist die beruhigende Wirkung, die von dieser Übung ausgehen kann. Es ist häufig zu beobachten, dass sich hektische und verkrampfte Pferde während dieser Übung entspannen und körperlich, wie geistig loslassen.

Korrekturen am Zügel

Korrekturen durch Zügelhilfen sollten immer nur kurz und grundsätzlich sparsam angewendet werden. Sie sind nur für Reiter geeignet, die genau wissen, was sie tun und warum. Das Pferd muss die Strafe verstehen und sie als gerecht empfinden. Die Korrektur muss immer während des Fehlverhaltens oder sofort danach erfolgen, damit das Pferd den Zusammenhang nachvollziehen kann. Ein übermäßiges und zudem sinnloses Zerren am Zügel aufgrund eines Wutausbruchs beim Reiter ist der „Worst Case“ in der Ausbildung und kann zu nachhaltigen Vertrauensproblemen führen. Aufgrund dessen noch mal an dieser Stelle: Man sollte sich zunächst immer fragen, ob vielleicht eine eigene Unkonzentriertheit oder eine schwammige Hilfengebung zu einem falschen Verhalten des Pferdes geführt hat. Nur wenn das sicher ausgeschlossen werden kann, ist ein kurzes und emotionsloses Strafen sinnvoll. Das kann zum Beispiel eine deutliche Parade sein oder bei einem sensiblen Pferd auch nur der länger anstehende Zügel. Es ist immer zu empfehlen, diese Korrekturen in Kombination mit treibenden Hilfen einzusetzen, um eine Rückwärtstendenz von vorneherein auszuschließen.

Wer hat recht?

Keiner, denn keine Philosophie der Zügelführung ist ein Patentrezept für die Pferdeausbildung. Jeder Reiter sollte sich Gedanken darüber machen, welche Art für das eigene Pferd am besten geeignet ist und seinem Können und seiner Veranlagung entspricht. Daneben ist es elementar wichtig, die Art der Handhaltung auch an das eigene Können anzupassen.

Kristina Conrädel

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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“

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