Reiten mit dem Halsring
1. September 2017
Ausbildung | Corinna Scholz / Siekmann
Das Halsringreiten gibt dem Reiter das Gefühl von Freiheit und Vertrauen.
Die Faszination für den Zuschauer erklärt sich aus der Einwirkung des Reiters, die – ohne Zügel – und daher unsichtbar erfolgt. Der Zügel ist für die meisten Reiter immer noch Dreh- und Angelpunkt der reiterlichen Hilfengebung. Der Verzicht auf dieses Hilfsmittel hat etwas Magisches. Das Zusammenspiel von Pferd und Reiter, das auf vollständiger Freiheit zu basieren scheint, versetzt in Erstaunen. Dabei ist beim Reiten mit dem Halsring ebenso wenig Magie im Spiel wie beim Reiten mit dem Zügel. Die Einwirkung erfolgt auch mit Trense oder Kandare, wie jeder fortgeschrittene Reiter weiß, nicht vorrangig über die in den Reiterhänden gehaltenen Leder- oder Gurtriemen, die im Gebiss eingeschnallt sind. Sondern über den Sitz.
Aufgrund der vielen Demonstrationen dieser Reitweise entwickeln Reitschüler zunehmend ein Interesse am Reiten mit Halsring. Die Aussicht, selbst diese Methode auszuprobieren schafft Motivation und Anreize beim Reitschüler. Darüber hinaus kann das Reiten mit Halsring helfen den Sitz zu verbessern. Ein Grund, weshalb diese Art zu Reiten durchaus gelegentlich in den Reitunterricht eingebaut werden kann.
Corinna Scholz, Ausbilderin aus Alveslohe, die seit vielen Jahren das Reiten mit Halsring praktiziert, meint: „Vor allem macht es ungemein viel Spaß den freien Pferdekopf vor sich zu haben. Das ist ein wunderbares Gefühl! Auf diese Weise zu reiten bietet eine Freiheit, die man sonst nicht so fühlt. Dabei hat man aber trotzdem Einwirkung und Kontrolle.“ Die Reiterin, die ihre Pferde auf Shows und Veranstaltungen unter anderem auch mit dem Halsring präsentiert, springt ihre vierbeinigen Partner sogar mit dieser Methode. Sie nennt eine wichtige Voraussetzung für den Start „oben ohne“. „Wenn man sein Pferd kennt und Vertrauen zu ihm hat, dann kann man es einfach ausprobieren. Wer noch nie auf diese Weise geritten ist, dem würde ich jedoch dazu raten die Trense anzulegen, damit man den Zügel zur Not greifen könnte, wenn man meint, man braucht ihn. Es kann aber auch eine gebisslose Zäumung sein, einfach eine Zäumung mit der man sich sicher fühlt und die dem Pferd vertraut ist. So lässt sich die Wirkung des Halsrings ganz entspannt ausprobieren.“
Ausritte mit dem Halsring bereiten nicht nur dem Reiter Freude, auch die Pferde genießen diese freie Arbeit. / Foto: Baurichter
Ein Ring für alle Fälle
Wer mit seinem Pferd noch nicht so vertraut ist, seine Reaktionen noch nicht so gut einschätzen kann, oder sehr unsicher ist, für den ist es empfehlenswert sich zunächst von einer anderen Person an die Longe nehmen zu lassen. „Dann übt man erst einmal Halten, Anreiten und vielleicht noch Rückwärtsrichten, Schritt und Trab reiten. Auf diese Weise hat man die Sicherheit, dass jemand anders das Pferd kontrollieren könnte.“
Das lässig wirkende Stück Seil, dass einfach über den Hals des Pferdes gelegt wird, ist trotz der minimalistisch anmutenden Größe keineswegs reine Dekoration. Mit dem Halsring ist der Reiter in der Lage Kontrolle zu haben. Zugegeben, die Einwirkung ist anders als beim Zaum mit seinen Zügeln, doch Kontrolle ist möglich. Um eine Wendung zu reiten, legt man die Außenseite des Halsrings etwas höher an, die Innenseite kommt etwas weg vom Hals. Entsprechend kann man über eine leichte Drehung der Hand Wendungen vorbereiten und sie einleiten. Keine Frage, das Feingefühl hierfür muss ein paar Mal geübt werden. „Man kann durchaus bremsen“ so Corinna Scholz, „hat man ein Pferd, das auf der geraden Linie dazu neigt schneller zu werden, sollte man zunächst auf dem Zirkel bleiben.“ Warum? Es geht nicht darum ein Vorwärts zu entwickeln, dieser Impuls kommt von selbst. Wichtig ist vor allem am Anfang des Trainings ein Gefühl für die Einwirkung zu bekommen und zu lernen mit welchen Handgriffen Kontrolle erreicht werden kann. Denn die Einwirkung erfolgt anders als über das Hilfsmittel des Zügels. Auf gerader Strecke, zum Beispiel auf der langen Seite der Reitbahn, lässt sich sehr gut das Halten und Anreiten, sowie das Rückwärts ausprobieren. „Aber dann muss man an andere Sachen rangehen. Je nach Pferd und je nach Gefühl, sollte man bald versuchen Wendungen zu reiten. Es gilt ein wenig zu probieren und zu erforschen „welche Lenkung habe ich hier“, weiß Corinna Scholz aus Erfahrung. Sie lässt ihre Reitschüler gerne mal das Zaumzeug gegen den Halsring tauschen. Und das aus einem ganz einfachen Grund. „Du merkst ganz schnell, wenn du nicht zwei Zügel in der Hand hast, wie du ganz anders über den Sitz agierst. Das passiert automatisch und innerhalb von wenigen Sekunden. Die Einwirkung erfolgt sehr viel deutlicher über Bauch, Rücken und Oberschenkel.“
Andere Einwirkung, andere Haltung
Viele Reiter knicken zum Beispiel in der Hüfte ein. Darauf reagieren Pferde indem sie wegschießen oder über die Schulter ausweichen. Hat der Reiter Zügel in der Hand, kann die Reaktion des Pferdes so kompensiert werden. Beim Reiten mit dem Halsring fällt diese Möglichkeit weg. Hier hilft nur: Besser sitzen, die Hüfte korrekt positionieren. Daher ist das Reiten mit dem Halsring eine sehr gute Übung im Hinblick auf den Reitersitz. „Es korrigiert den Sitz nicht, aber es trägt schnell dazu bei, ein Gefühl für ein natürliches Sitzen zu entwickeln. Dafür muss man es einige Male machen.“
Die Frage, die sich spätestens beim ersten Versuch stellt, lautet: Und wie wirkt man nun ohne Zügel auf das Pferd ein? Generell lässt sich sagen, je höher der Halsring am Hals des Pferdes anliegt, desto schärfer wirkt er ein, da er mit zunehmender Höhe dichter an der Kehle liegt. Je tiefer am Hals das Seil liegt, desto mehr Muskulatur kann das Pferd dem Impuls entgegen setzen. Und je weniger scharf spürt es die Einwirkung. Jedes Sinkenlassen, bedeutet daher auch ein Lob. Jedes Anheben des Halsrings zeigt dem Pferd an „Jetzt pass aber mal wirklich auf hier“ – darauf kann man das Pferd im Laufe des Trainings einstimmen.
Überprüfung, keine Ausbildung
Auch wenn das Reiten mit dem Halsring für jeden Reiter ein hilfreiches Training darstellen kann, ist es noch lange nicht für jedes Pferd geeignet. Vorsicht ist nach Meinung von Ausbilderin Corinna Scholz geboten bei Pferden, die einen tiefen Halsansatz haben und dazu neigen sich einzurollen. Mit dem Zügel kann der Reiter diese Pferde durch Aufwärtsimpulse dazu motivieren sich besser aus- und aufzurichten, den Kopf etwas höher zu tragen. Beim Reiten mit dem Halsring fehlt diese Korrektur-Möglichkeit. Stolpert das Pferd, kann der Reiter nicht stabilisierend unterstützen. Das kann für Pferd und Reiter gefährlich werden. „Reiten mit dem Halsring sollte ich grundsätzlich nur mit einem Pferd üben, das generell gut über den Rücken geht“ meint Corinna Scholz. Neigt ein Pferd dazu sich kurz zu machen, den Rücken wegzudrücken, so entzieht es sich der Einwirkung des Reiters, der dann – ohne Zügel – nichts dagegen zu setzen hat. Einige Möglichkeiten stehen dem Reiter eben nicht zur Verfügung, um das Pferd dazu zu veranlassen über den Rücken zu laufen. „Ich kann nicht in die Hand hinein treiben, ich kann nicht den Hals verlängern durch Treiben, wenn das Pferd sich verkriecht, und ich kann den Rücken nicht hoch holen, die Brücke nicht bauen.“ Daher ist das Reiten mit dem Halsring kein Ausbildungsweg, sondern lediglich dazu geeignet, das Erlernte zu überprüfen. „ich sehe es als Leckerlie“ so Corinna Scholz, „Für Reiter und Pferd.“
Im Hinblick auf Reiter sieht es anders aus. So gut wie jeder kann davon profitieren. Für Reiter mit besonderen Schwächen und Eigenheiten ist das Training besonders effektiv. „Reiter, die Angst vor Kontrollverlust haben, was ja oft der Fall ist, wenn sie zu sehr am Zügel festhalten, denen tut es in der Regel sehr gut“ weiß die Trainerin aus Erfahrung. Trotzdem räumt sie ein, dass manchmal auch Vorsicht geboten ist „Gerade diese Reiter können aber auch in Panik kommen. Da ist wichtig, dass diese Leute auf einem Pferd üben, dass das Reiten mit Halsring kennt und nicht dazu neigt abzutauchen und wegzulaufen.“ Gelingt die Übung, fängt der Reiter sofort an anders zu agieren. Er setzt sich vermehrt ins Gleichgewicht, was beim Reiten mit Zaum und Zügeln nicht unbedingt notwendig ist. Gut geeignet ist das Training auch für Menschen, die fest im Becken sind, und solche die schlecht sitzen, weil sie einfach nicht loslassen können. Genauso profitieren Reiter, die dazu neigen fest in der Hand zu sein.
Sogar für die Handarbeit lässt sich ein Halsring nutzen / Foto: Ines Diepenbruck
Handarbeit am Halsring
Auch Bodenarbeit ist mit dem Halsring wunderbar möglich. Hier gilt wie beim Reiten: Je weiter hinten der Halsring liegt, desto weniger Einwirkung hat der Reiter. Je weiter vorne der Halsring liegt, desto einfacher ist es dem Pferd einen Impuls zu vermitteln. „Bei der klassischen Arbeit an der Hand habe ich auf Trense eine Hebelwirkung, die habe ich in gewisser Weise auch beim Halsring“ so Corinna Scholz „Wenn ich den Halsring in einer gewissen Position halte und ein wenig gegendrücke. Wenn mir das Pferd zu flott wird, kann ich durch das Anlegen des Halsring am unteren Halsbereich das Tempo etwas regulieren. Liegt der Halsring hier an, verlange ich Aufmerksamkeit.“ Wichtig ist, dass das Pferd versteht, sobald der Halsring irgendwo am Hals anliegt und einwirkt, will der Reiter neben ihm etwas, dann verlangt er eine Reaktion. Das bedeutet im Umkehrschluss: Macht das Pferd was es soll, muss der Halsring vom Hals weghalten werden, dann darf er keinen Druck ausüben, nicht fest anliegen.
„Arbeit an der Hand mit dem Halsring machen ja nicht viele, aber es macht Spaß. Vorausgesetzt ich ein Pferd hab das eine gute Distanz einhalten kann. Wenn ich dagegen ein Pferd habe, das mich gerne bedrängt, steht es mir schnell auf dem Fuß. Ich kann mit dem Halsring ein Pferd nicht schnell auf Distanz bringen. Das muss ich wissen.“ Daher gilt es für diese Arbeit gut einschätzen zu können, ob das Pferd dafür geeignet ist und die erlernten Lektionen bereits gut genug gefestigt wurden. Grundsätzlich ist aber alles möglich: Auch ein Schulter herein oder Seitengänge. „Ich kann aber nicht groß bestimmen, wie viel Stellung wie viel Biegung mein Pferd zeigt. Auch auf Innen- oder Außenstellung habe ich wenig Einfluss.“ Für das Halten zupft die Trainerin leicht am Halsring, das reicht aus.
Wichtig ist sich daran zu erinnern: Die Arbeit mit dem Halsring ist keine Ausbildungsmethode. „Es ist nur das Zuckerstück obendrauf. Für den Trainer, den Reiter. Es ist wunderbar, wenn etwas auch mit dem Halsring gelingt. Aber ich kann nichts abfordern, was nicht vorher schon erlernt wurde und wirklich gut vom Pferd verinnerlicht wurde.“
Über die Autorin:
Corinna Scholz ist Pferdewirtin FN Schwerpunkt Reiten mit jahrzehntelanger Erfahrung im Dressur-, Vielseitigkeits- und Springsport, die sich heute vor allem der feinen Pferdeausbildung und Reiterei verschrieben hat. Sie gründete das Team Légèreté e.V. mit dem sie auf verschiedenen Veranstaltungen auftritt. Nebenher bildet sie weiterhin Pferde und Reiter aus und bietet Workshops und Seminare zu verschiedenen Themen rund um’s Pferd an.
Weitere Informationen zur Autorin unter: www.tanzende-hufe.de
Foto: Ines Diepenbruck
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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“