Klassische Reitkunst französischer Tradition

21. Juni 2017

Ausbildung | Steffen Mütterlein 

Im November 2011 ist die französische Reitkunst auf die Liste des immatriellen Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen worden.

Die Wiege der französischen Reitkunst ist die Versailler Schule. Sie wurde 1680 durch Zusammenlegung der Großen und Kleinen Stallungen (Grande et petite écurie) in Versailles gegründet und 1682 von Ludwig XIV. eingeweiht. Ziel der Versailler Schule zum Zeitpunkt ihrer Gründung war es, die damalige Reiterei von allem Überflüssigen und Unnützen aus der Zeit Pluvinels zu befreien. Darüber hinaus wurde großen Wert auf einen eleganten und korrekten Sitz (Dreipunktsitz)  gelegt, sowie auf feinste Hilfegebung. Zu dieser Zeit entsteht der Begriff Reitertakt d.h. Eingehen auf das Pferd. Reiten wird zu einer Kunst.

Als Vertreter dieser Zeit sehen wir François Robichon de la Guérinère (1688-1751) und sein 1733 erschienenes Werk L‘ Ecole de Cavalerie. Obwohl de la Guérinère selbst nicht direkt zur Versailler Schule gehörte, er leitete seit 1730 die Manège royale des Tuileries, wird sein Werk doch als Grundlage der Versailler Schule angesehen.  Zwei weitere Werke sind hier noch zu erwähnen, um einen Einblick in die Versailler Schule zu bekommen: Du Paty de Clam, Theorie und Praktik der höheren Reitkunst und Pierre François Montfaucon de Rogles , Traité d’équitation  (1788) allerdings nicht ins Deutsche übersetzt. Dieses Werk ist insofern sehr interessant, da Montfaucon de Rogles direkt als Bereiter an der Petite Ecurie in Versailles wirkte und sehr genau die Ausbildungsweise der Versailler Schule beschreibt.

Francois Robichon de la Guérinère sowie die beiden anderen barocken Schriftsteller beschreiben eine Ausbildung, die auf der Gymnastizierung des Pferdes basiert, wobei eine Lektion auf der anderen aufbaut. Ebenso waren die Ausbildungsstufen anders, da das Ziel der damaligen Reiterei ein hoch versammeltes Pferd war. Daher wurde zuerst Schritt und Trab, dann die Seitengänge wie   Schulterherein und Renvers gefördert, es folgte die Piaffe und danach erst der Galopp. Die Pferde mussten erst reif für den Galopp werden. Es folgten dann Passage, Pirouetten und Schulen über der Erde .

Nach dem Tod des Meisters im Jahre 1751 wirkt der Geist des Meisters in der Schule von Versailles fort bis diese in den Wirren der französischen Revolution fast untergeht. 1793 wird die Versailler Schule zum ersten Mal geschlossen.

Die Grande Écurie (französisch für großer Marstall) ist ein monumentales Bauwerk an der Place d’Armes in Versailles (Foto:Privat)

 

Geschichte der Reitschulen

Im Jahre 1796 wird eine Ecole national d‘ équitation (Nationale Reitschule) innerhalb der Versailler Schule gegründet bis diese dann 1810 geschlossen wird und in eine Ecole spéciale de Cavalerie de Saint Gérmain überführt wird. Diese Kavallerieschule war noch ausgestattet mit Pferden der Versailler Schule. Diese Pferde waren teilweise noch von dem berühmten Ecuyer (Bereiter) Coupé ausgebildet und zwei von ihnen  waren auch bei dem Carrousel von Marie-Antoinette zugegen. Man sieht hier auch noch ganz deutlich die Verbindung zur Versailler Schule, auch wenn es jetzt schon deutlich mehr in Richtung Militärreiterei geht.

Die Versailler Schule wird dann im Jahre 1814 unter der Leitung des Vicomte d’Abazac wiedereröffnet. Diese ständigen Veränderungen sind nur unter dem Hintergrund der französischen Geschichte zu verstehen. Die Jahre 1814/1815  sind die Jahre der Restauration und Ludwig XVIII. wird König von Frankreich. Im Jahre 1830 wird die Versailler Schule dann endgültig geschlossen.

Auf Anordnung von König Ludwig XVIII. wird 1814 die Schule von Saumur gegründet, und 1825 gründet Karl X. die Ecole Royale de Cavalerie de Saumur (Königliche Kavallerieschule von Saumur). Ihr erster Ecyuer en chef wird M. Cordier. M. Cordier ist selbst noch ausgebildet worden von Bereitern der Versailler Schule. Also hier noch deutlich der Einfluß der Versailler Schule auf die Schule von Saumur zu sehen.

Der riesige Erfolg von Francois Baucher hinterließ auch seine Spuren in Saumur. Unter der Führung von Commandant Novital (1841-1846) wird die Schule von Saumur „baucheristisch“. Erst unter seinem Nachfolger dem Grafen d’Aure änderte sich das. Graf d’Aure ein glänzender Schulreiter, ganz aus der Tradition der Versailler Schule und wehementer Gegner von Baucher. Allerdings muß man auch sehen, daß die Schule von Saumur eine andere Mission hatte als die Schule von Versailles. Saumur ist ausgerichte ganz nach den Bedürfnissen des Militärs. Da hatte akademische Schulreiterei keinen Platz, auch wenn es anfangs noch einen Schulstall mit iberisch geprägten Pferden gab. Ansonsten war die Schule mit sehr blutgeprägten Pferden ausgestattet. Geländereiten stand im Vordergrund.

 

Akademische Reiterei

Die französische Schulreiterei, oder wie sie in Frankreich genannt wird, die akademische Reiterei, fand sicher ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert. Die Schule von Saumur hatte eine andere Mission zu erfüllen  als die Versailler Schule. Es ging in Richtung einer Vereinfachung der Reiterei, den militärischen Bedürfnissen angepasst. Die gesamte Form der Kriegsführung hatte sich verändert. Es ging jetzt um schnelle Kavallerieattacken. Dafür wurde auch ein anderer Pferdetypus gebraucht, hoch im Blut stehende Pferde waren gefragt. Außerdem mussten schnell und mehr Kavalleristen gleichzeitig ausgebildet werden, und der Versammlungsgrad der Pferde war  auf Grund der neuen militärischen Anforderungen geringer. Aber diese Entwicklung begann bereits im 18. Jahrhundert. Montfaucon de Rogles, der in Versailles an der petite écurie tätig war und dem dann die Leitung der école de chevaux-légers übertragen wurde, begann auch schon diese Schule den militärischen Bedürfnissen anzupassen und viele Dinge zu vereinfachen, ohne natürlich den Boden der Versailler Schule zu verlassen. Grundsatz der Versailler Schule war es, Pferde ohne Gewalt, ohne Druck oder ohne irgendwelche Zwangsmittel auszubilden, und es wurde auf eine ausgesprochenen perfekten, aber vollkommen losgelassen Sitz der Reiter Wert gelegt. Es wurde ein Reiten in  Harmonie mit feinster Hilfegebung angestrebt. Und diese Grundsätze finden wir auch heute in Saumur wieder.

 

Prinzipien

Eines  der wichtigsten Prinzipien der französischen Reitkunst ist das Aussetzen der Zügelhilfen (la descende de main ), das heißt dem Pferd Freiheit auf Ehrenwort zu geben, nachdem es durch Schulterherein ins Gleichgewicht gebracht worden ist. Man strebt also eine freiwillige Mitarbeit des Pferdes an, die weit entfernt von irgendeinem Zwang ist. La descende de main (das Sinkenlassen der Hand) und Schulterherein gehen zurück auf Francois Robichon de la Guérinère. Das Aussetzen der Hilfen (Hände wie Beine) ist die Weiterführung des vorherigen Prinzipes weiterentwickelt von Francois Baucher (Hand ohne Bein, Bein ohne Hand). Dieses Aussetzen der Hilfen bedeutet, daß die Hilfen dann enden, wenn das Pferd beginnt das auszuführen, was man von ihm verlangt  und die Hilfen erst wieder einsetzen, wenn das Pferd nachlässig in der Ausführung wird. Das Pferd kann sich somit in dem ihm gesetzten Rahmen  ganz selbst entfalten und „sich in seiner Bewegung gefallen“ wie die alten Meister es ausdrückten.

Dies sind gerade die Kriterien, die dazu geführt haben, die französische Reitkunst auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO aufzunehmen.

Steffen Mütterlein

 

Über den Autor:

Steffen Mütterlein
Hippologe, Dressurausbilder (FN)

Steffen Mütterlein ist 1964 in Berlin geboren und entstammt aus einer französischen Stallmeisterfamilie, die bereits am Prinzlichen Marstall in Berlin tätig war. Steffen Mütterlein ist absoluter Verfechter der klassischen Reitkunst und sieht in erster Linie Reiten als Kunst und nicht als Sport an.

„Die französische Reitkunst ist immaterielles Kulturerbe der UNESCO und dieses Kulturerbe möchte ich bewahren und weitergeben“.

Zwei Menschen zeichneten seinen reiterlichen Weg: Adjudant Jean-Claude Barry, Bereiter vom Cadre Noir in Saumur und Hauptsattelmeister Henning Müller vom Brandenburgischen Haupt- und Landgestüt in Neustadt/Dosse.

www.Klassische-reitkunst.org

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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“

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