Zaum-Kunde
30. Mai 2017
Ausbildung | Ilka Stehn
Die Zaum-Kunde ist ein ebenso wichtiges Thema, wie die Sattel- oder Gebiss-Kunde. Nicht passende oder falsch verschnallte Trensen und Kandaren können zu Widersetzlichkeit, Kopf schlagen (bis hin zum Headshaken), Zunge strecken und sogar zum Bocken führen. Drückt beispielsweise eine Schnalle auf das Jochbein oder das Kiefergelenk, so kann dies zu permanentem Schmerzreiz führen. Sitzt der Genick- oder Stirnriemen nicht korrekt, so können starke Kopfschmerzen die Folge sein. Sind die Zügel zu kurz oder zu lang ist eine reelle Dehnungshaltung und korrekte Anlehnung nicht möglich, usw.
Zügel
Meist nutzt man die Zügel, die man mit der jeweiligen Trense dazu gekauft hat. Die Hauptgründe, um Zügel zu wechseln sind die Vorlieben des Reiters bezüglich des Materials. Dem Pferd ist es erste einmal egal, aus welchem Material die Zügel bestehen. Was aber entscheidend ist, um immer korrekte Hilfen geben zu können, ist die individuell notwenige Länge.
Wählt man den Zügel zu lang, kann das Ende unter das Sattelblatt oder unter das Knie des Reiters geraten und dort stören. Außerdem ist man oft versucht mit besonders langem Zügel zu reiten, was zur Folge haben kann, dass man eine falsche Anlehnung wählt, bzw. das Pferd zu viel auf der Vorhand reitet.
Wählt man den Zügel zu kurz, kann man die Zügelhilfen nicht ausreichend nachgeben und muss für eine ausreichende Dehnungshaltung mit ausgestreckten Armen und nach vorn gekipptem Oberkörper weiter reiten. Dies kann zu einer ungewünschten Gewichtsverlagerung nach vorn und damit ein auf die Vorhand kippen zur Folge haben. Außerdem wählt man mit einem zu kurzen Zügel oft eine zu harte Anlehnung, also fasst die Zügel zu kurz, was eine korrekte Hilfengebung erschwert.
Die korrekte Länge für Zügel kann man herausfinden, indem man die Zügel auf den Widerrist legt und das getrenste Pferd etwas vom Bode fressen lässt. Ist dies möglich, ohne dass die Zügel sich unangenehm straffen, aber auch nicht durchhängen bleiben, ist die Länge für dieses Pferd gut gewählt.
Stirnriemen
Der Stirnriemen ist einer der wenigen, tatsächlich notwenigen Riemen an einer Trense. Er verhindert, dass das Genickstück hinter den Atlaswirbel rutschen kann. Dies ist möglich, wenn z.B. das Gebiss sehr locker im Maulwinkel liegt, wodurch die Backenstücke beim Kauen und Annehmen der Zügel angehoben wird. Aber auch wenn beide Zügel deutlich angenommen werden (z.B. weil das Pferd durchzugehen droht o.ä.). Außerdem kann sich eine Trense ohne Stirnziemen bei stärkerem, einseitigem Zug (was z.B. auch beim Husten oder Schnauben passieren kann), so zu einer Seite verziehen, dass auf der gegenüberliegenden Seite das Backenstück im Maul landet.
Worauf beim Stirnriemen aber unbedingt geachtet werden muss, ist dass er lang genug ist. Wenn er zu kurz ist, kann er die Trense von hinten an die Ohrmuschel ziehen, das Kiefergelenk stören, Kopfschmerzen verursachen und anderes.
Man kontrolliert die korrekte Länge, indem man den Stirnriemen an einer Seite von der Trense entfernt, das Pferd damit trenzt und nun den Stirnriemen locker an seine eigentlich Position legt.
Reicht er bis zur anderen Seite der Trense, als wäre er nicht abgemacht worden ist er lang genug. Muss man daran ziehen, um zur anderen Trensen-Seite zu gelangen, ist er zu kurz. Im Zweifel wählt man lieber einen zu langen, als einen zu kurzen Riemen.
Dies gilt nicht für Hebelgebisse! Da alle Gebisse mit Hebelwirkung die Backenstücke nach unten ziehen und nicht anheben, ist ein Stirnriemen in Kombination mit einem Hebelgebiss nicht unbedingt notwendig. Aus dem gleichen Grund muss auch bei den meisten gebisslosen Zäume nicht unbedingt ein Stirnriemen genutzt werden, da hier in der Regel die fehlende Maulwirkung über einen Genickhebel kompensiert wird.
Genickriemen und Backstücke
Der Genickriemen sollte anatomisch zu dem jeweiligen Pferd passen. Es gibt Pferde, die sehr Hautund Druckempfindlich im Genick sind. Außerdem befinden sich hier sowohl Schleimbeutel als auch empfindliche Nerven. Bei solchen Pferden empfiehlt sich ein weiches Polster bzw. eine sinnvolle Form. Auch eigentlich unempfindliche Pferde bevorzugen ein möglichst angenehmes Genickstück.
Die Schnallen, mit denen die Backenstücke am Genickriemen befestigt sind, dürfen weder auf dem Kiefergelenk liegen, noch auf dem Jochbein. Bei rund genähten Trensen befinden sich die Schnallen zum Verstellen der Gebisshöhe meist genau zwischen den Ohren. Hier muss unbedingt auf eine sehr gute Verarbeitung geachtet werden, um unangenehmen Druck zu vermeiden.
Kehlriemen
Der Kehlriemen soll das vorrutschen der Trense über die Ohren nach vorn, z.B. bei einem Sturz, verhindern. Dies ist auch möglich, wenn der Atlaswirbel höher steht als das Hinterhauptsbein (diese anatomische Besonderheit ist mir in 25 Jahren Reiten nur genau ein einziges Mal begegnet und kommt eher bei Hengsten vor). Daher ist auch der Kehlriemen in der Regel nicht notwendig an einer Trense.
Nutzt man ihn dennoch, muss er unbedingt locker mittig auf der Ganasche aufliegen. Ist er zu eng eingestellt, kann er das Pferd an der Beizäumung (dem Nachgeben im Genick) hindern, die Ohrspeicheldrüse drücken oder sogar würgen. Hat man ihn nur etwas zu locker, kann er unter dem Kaumuskel verkanten und somit die Unterkieferbewegung unangenehm einschränken. Die Kontrolle mit einer Aufrechten Faust ist hier leider oft nicht zutreffend. Ist man sich unsicher, lässt man den Riemen gern deutlich zu lang, damit er keine Funktion mehr hat, aber auch nicht stört.
Nasenriemen und Reithalfter
Hannoversches Reithalfer Englisches Reithalfter
Als Nasenriemen wird allgemein das einfache, englische oder das hannoversche Reithalfter bezeichnet. Korrekt verschnallt (siehe Seite 83 unten links LPO 2013: „Die Kontrolle des korrekt verschnallten Reithalfters erfolgt, indem zwei Finger (eines durchschnittlichen Erwachsenen) zwischen Nasenrücken und Nasenriemen Platz finden) sorgt dafür, dass das Pferd bei zu weitem Öffnen des Mauls (Sperren) Druck auf Nasenrücken und Unterkieferäste bekommt, was meist dazu führt, dass das Maul wieder geschlossen wird.
Das hannoversche Reithalfter wirkt durch die tiefere Lage zwar etwas deutlicher bietet aber den Vorteil, dass ein einklemmen des Maulwinkels zwischen Gebiss und Nasenriemen vermieden wird. Speziell bei sehr langer Maulspalte und für empfindliche Pferde ist das hannoversche Reithalfter zu bevorzugen. Im Genick liegt das Reithalfter Idealer Weise über dem Genickriemen, da der Riemen des Reithalfters meist dünner ist, als der des Genickriemens und somit unangenehm drücken kann. Dies gilt speziell für Hebelgebisse, die das Genickstück je nach Anzugkraft durch den Zügel, auf das Genick drücken. An der Seite gehört es unter die Backenriemen, um die Lage des Gebisses nicht zu beeinflussen.
Englisches Reithalfter
Hannoversches Reithalfer
Sperrriemen
Der Sperrriemen bietet die größte Kontroverse in der Zaum-Kunde und viel Diskussionsstoff.
Der Ursprung des Sperrriemens findet sich im Krieg.
Da sehr viele Pferde „verbraucht“ wurden, war es notwendig so schnell wie möglich „Nachschub“ herbei zu schaffen. Hierfür war es nicht mehr nötig, dass die Tiere gut ausgebildet waren und Schulsprünge zur Verteidigung konnten. Es war nur notwendig, dass die Pferde den Reiter möglichst schnell von A nach B trugen bzw. Lasten schleppten und Kriegswerkzeuge und Wagen zogen.
Bei den relativ schlecht ausgebildeten und wenig ausbalancierten Pferden kam es häufiger zu Stürzen und in Folge dessen unter anderem unverhältnismäßig oft zu Kieferbrüchen, was zur Unbrauchbarkeit des Tieres führte. Der Sperrriemen wurde daraufhin standartmäßig an allen Trensen angebracht. Dies führte dazu, dass die Tiere während eines Sturzes die Mäuler nicht öffnen und somit seltener Kieferbrüche erlitten. Nach Einführung des Sperrriemens gingen die Ausfälle der Pferde durch Kieferbrüche um mehr als 70% zurück. Das ist auch der Grund für den heutigen, aber unnötigen, Einsatz des Sperrriemens und den nachhaltig „guten Ruf“ dieses Riemens trotz aller Kritik.
Betrachtet man diesen Riemen rein mechanisch, so ist klar, dass bei einem kombinieren Reithalfter immer nur einer der Riemen, und zwar der fester verschlossene, wirkt. Diese Tatsache macht das kombinierte Reithalfter unnötig und den Sperrriemen heutzutage zu einem oft sogar störenden, da zu fest verschnallten, Trensenteil.
Die weiteren Argumente für die Nutzung eines Sperrriemens, wie die ruhigere Lage des Gebissen, das Rausstrecken der Zunge, das Festbeißen aufs Gebiss, ein unruhiges Kauen und viele weitere, sind nur ein Abstellen eines Symptoms für eine noch nicht ausreichende oder falsche Ausbildung bzw. Handhabung von Hilfen. Das Pferd durch das Anbringen eines Sperrriemens dazu zu zwingen das Maul geschlossen zu halten, weil es z.B. noch nicht gelernt hat, wie es mit dem Gebiss im Maul umgehen sollte oder wenn es anzeigt, dass eine Hilfe zu stark war, nicht verstanden wurde oder nicht
umgesetzt werden konnte, halte ich persönlich für den falschen Weg.
Gegen ein hannoversches Reithalfter ist hingegen absolut nichts einzuwenden, im Gegenteil wird das hannoversche Reithalfter von vielen Pferden besser angenommen, als ein englisches.
Kandarenzaum / Foto: Sandra Siegmund
Kandaren
Eine Kandare zu verwenden bedarf einer umfangreichen Ausbildung von Pferd und Reiter. Beide sollten die „Kandarenreife“ erreicht haben. Für den Reiter bedeutet „Kandarenreife“ einen völlig unabhängigen Sitz erreicht zu haben, die Zügel nicht mehr zum Lenken, bremsen oder festhalten verwenden zu müssen und Sitz- und Schenkelhilfen bewusst einsetzten zu können.
Ein Pferd erreicht „Kandarenreife, wenn es gelernt hat sich in allen drei Grundgangarten und Lektionen selber zu tragen. Den Zügel nicht mehr als Stütze verwenden zu müssen, Schenkel-, Sitzund Zügelhilfen prompt und fein umzusetzen und wenigstens erste Versammlungsansätze zu zeigen. Wer die Kandare einsetzten möchte, um das Pferd „besser halten“ zu können oder weil es „fest im Maul“ ist, hat noch keine Kandarenreife erreicht. Neue Lektionen sollten immer auf Trense gelehrt und auf Kandare verfeinert werden.
Beim Verschnallen muss auf die Lage der zwei Gebisse im Maul geachtet werden. Das Trensengebiss muss hinter dem Oberbaum des Kandare und über der Kinnkette liegen, damit die Gebisse sich durch die Hebelwirkung der Kandare, nicht gegenseitig stören.
Über die Autorin:
Ilka Stehn wurde als zweites von vier Kindern in der Nähe von Lüneburg geboren. Schon früh hatte sie nichts als Pferde im Kopf, konnte aber erst mit zwölf Jahren anfangen regelmäßig zu reiten.
Schon immer war klar, dass sie mit Pferden arbeiten möchte.
Durch eine sehr enge Zusammenarbeit mit Antje Bandholz (Trainerin der altfranzösischen Reitkunst) für einige Jahre und bis heute regelmäßigen Unterricht bei dem ehrenwerten Eberhard Weiss (klassischer Reit- und Fahrausbilder), konnte sie die Grundlagen der Pferdeausbildung bis zur hohen Schule erlernen.
Spezialisiert auf Pferde, bei denen andere Ausbilder aus verschiedenen Gründen nicht weiter gekommen sind, ist sie heute selber unter anderem Ausrüstungs-Expertin.
www.klassische-reitausbildung-ilka-stehn.de
Foto: Julia van Loo / Ilka Stehn
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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“