Schlafstörungen bei Pferden – Erkrankung oder chronischer Schlafmangel?
3. April 2017
Pferdeverhalten | Rebecca / SK
Das natürliche Schlafverhalten unserer Rösser
Pferde schlafen deutlich weniger als andere Säugetiere. Das Beutetier Pferd schläft bzw. ruht in der Regel nur über kurze Phasen von 35 bis maximal 90 Minuten.
Dabei werden mehrere Schlafstadien durchlaufen. Man unterscheidet zwischen Leicht- und Tiefschlaf, beides kann bei Pferden im Stehen stattfinden und ist tagsüber die gängigste Art der Erholung. Der so genannte Traumschlaf ist ausschließlich im Liegen möglich, da nur in diesem Zustand eine totale Entspannung der Muskeln möglich ist. Man spricht hier auch von REM-Schlaf (Rapid-Eye-Movement). Diese Bezeichnung bezieht sich auf schnelle Augenbewegungen, die nur in der Traumphase stattfinden.
Ein normales Schlafpensum gesunder Pferde beträgt in der Nacht etwa drei bis fünf Stunden, davon eine bis drei Stunden liegend. Die Gesamterholungszeit (schlafen, ruhen, dösen) liegt täglich bei etwa fünf bis neun Stunden.
Schlaf ist für die Gesundheit von Pferden genauso wichtig, wie für uns Menschen – ein Schlafmangel also logischerweise genauso schädlich.
Narkolepsie beim Pferd – eine krankhafte Schlafstörung
Narkolepsie ist eine chronische, neurologische Schlaf-Wachstörung, verursacht durch einen Mangel an dem Botenstoff Hypocretin im Gehirn. Eine Erkrankung, die bei Mensch und Hund bekannter ist als bei Pferden.
Anzeichen sind Anfälle, die in der Regel mit einem Verlust des Muskeltonus (Kataplexie) einhergehen und durch starke, meist positive Emotionen ausgelöst werden. Betroffene Pferde schwanken, taumeln, stolpern und sind exzessiv schläfrig.
Die Krankheit gilt unter Pferden als selten. Studien ergaben eine gewisse Erkrankungstendenz unter Fohlen bestimmter Rassen, wie Suffolk, Isländer, Shetland Pony, Fell Pony, Lipizzaner, Warmblut und Miniature Horse, sowie einen familiären Zusammenhang bei mehreren eng verwandten Fohlen.
Narkolepsie gilt als unheilbar. Der Krankheitsverlauf, beobachtbar schon wenige Stunden bis Wochen nach der Geburt, zeigt sich individuell unterschiedlich. Es gibt Fälle, bei denen aufgrund extremer Symptome eine Euthanasie der betroffenen Fohlen unumgänglich ist. Bei anderen Tieren ist eine Abnahme von Stärke, Dauer und Frequenz der Episoden zu verzeichnen. Auch gibt es Pferde, bei denen die Symptome mit zunehmendem Alter ganz ausbleiben.
Als Therapieansatz wird, wie in der Humanmedizin, das Antidepressivum Imipramin verabreicht. Es soll den Verlust des Muskeltonus im Falle einer narkoleptischen Episode kontrollieren. Hinsichtlich der exzessiven Tagschläfrigkeit konnte so in nachgewiesenen Fällen eine Verbesserung beobachtet werden – nicht jedoch bei Anfällen, die durch starke Emotionen ausgelöst werden. Zudem besteht ab einer bestimmten Dosierung die Gefahr schwerwiegender Nebenwirkungen.
REM-Schlafmangel – die Pseudo-Narkolepsie
Die Tierärztinnen Christine Fuchs und Lena Charlotte Kiefner von der Universität München starteten im Jahr 2014 in Zusammenarbeit mit der Pferdezeitschrift CAVALLO eine Studie über das Schlafverhalten von Pferden in Verbindung mit dem Krankheitsbild der Narkolepsie.
Über einen Aufruf von Cavallo meldeten sich 177 Pferdebesitzer, deren Tiere unter Schlafstörungen litten. Ein Ergebnis, welches die Erwartungen der Tierärztinnen bei weitem übertraf. Anhand eines umfassenden Online-Fragebogens wurden letztendlich 39 Pferde für die Studie ausgewählt.
Nach Erfassung der Lebenssituation der Pferde, eingehenden Untersuchungen des Allgemeinzustandes, sowie der Abnahme von Blutbildern wurde das Schlaf- und Ruheverhalten der Tiere beobachtet. Die Aufzeichnungen erfolgten per Videoüberwachung und anhand einer Verkabelung der Pferde mit einem mobilen Schlaflabor zur Messung von Hirnströmen, Augenbewegungen und Muskelspannungen.
Das Ergebnis war eindeutig: „Alle Pferde litten an Schlafmangel“, erklärte Fuchs.
Die Tiere verbrachten gerade mal 24 Minuten schlafend in Brust- oder Seitenlage. Und das bezog sich nur auf zwei Pferde, die übrigen 35 Tiere legten sich gar nicht zum Schlafen hin.
Der Traum- oder REM-Schlafmangel ist demnach so groß, dass die Pferde dauerhaft übermüdet sind und letztendlich wiederholt einen unvollständigen oder vollständigen atonischen Kollaps erleiden. Sie fallen sozusagen stehend in den REM-Schlaf, die Muskelspannung lässt nach, der Kopf sinkt fast zum Boden, sie beginnen zu schwanken oder zu zittern, verlagern ihr Gewicht vermehrt auf die Hintergliedmaßen, die Vordergliedmaßen knicken ein und die Tiere stürzen auf das Fessel- oder Vorderfußwurzelgelenk. Dadurch wachen die Pferde auf und schrecken hoch oder stürzen ganz zu Boden und schrecken dann auf.
Folgen sind wiederholte Verletzungen im Kopfbereich und an den Vordergliedmaßen, schlimmstenfalls offene Wunden und Frakturen.
Sieben Studienpferde mussten wegen ihrer Verletzungen oder psychischer Leiden eingeschläfert werden.
Als Ursachen für die Entstehung eines permanenten REM-Schlafmangels können verschiedene Faktoren in Frage kommen, wie z.B. sich oft ändernde Herden, Rangordnungsprobleme, unruhige Umgebung, gesundheitliche Probleme (wenn Pferde nur schlecht aufstehen können), Bodenbeschaffenheit und extreme Witterungsbedingungen.
Die tierärztliche Studie zeigt als Hauptauslöser die folgenden drei Situationen:
- Stallwechsel und häufige Reisen
- eine unzureichende Liegefläche (Laufstall/Offenstall) bzw. Grundfläche (Einzelbox)
- Stereotypien, die Pferde entwickeln um u.a. mit Unzulänglichkeiten in der Haltung und beim Umgang zurecht zu kommen, wenn das Anpassungsvermögen überfordert ist
Fazit
Bei wiederkehrenden Schlafstörungen muss ein Schlafmangel als Ursache zunächst ausgeschlossen werden, bevor an krankhafte Schlafstörungen zu denken ist. Eine tierärztliche Untersuchung, sowie Langzeit-Videoaufnahmen zur Beobachtung des (Ruhe-)Verhaltens können Aufschluss geben.
Hinzu kommt, dass Narkolepsie bereits im Fohlenalter zu beobachten ist und durch intensive Gefühlsregungen ausgelöst wird, wohingegen ein REM-Schlafmangel bei Pferden ab einem Alter von 15 Jahren am häufigsten festgestellt wurde und in der Ruhephase auftritt.
Das wichtigste Studienergebnis ist ohne Frage, dass arttypisches Ruheverhalten essenziell für das psychische und physische Wohlbefinden unserer Pferde ist.
Deshalb sollte bei dem positiven Trend zur Haltungsform in der Gruppe mit Bewegungsfreiheit, Sozialkontakten und artgerechter Fütterung unbedingt auch Wert auf angemessene Ruhezonen und -zeiten für den Partner Pferd gelegt werden.
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Sie beobachten Schlafstörungen bei Ihrem Pferd? Der Cavallo 12-Punkte-Test liefert erste Anhaltspunkte, ob sich Ihr Pferd wirklich ausruhen kann:
http://www.cavallo.de/pferde-medizin/pferdemedizin-kopf-bis-huf/schlafstoerungen-bei-pferden-so-helfen-sie.1657476.233219.htm#1
Quellen:
Kiefner, Lena Charlotte (2016): Untersuchungen zu Schlafstörungen beim Pferd: Narkolepsie versus REM-Schlafmangel; Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München
http://www.cavallo.de/pferde-medizin/pferdemedizin-kopf-bis-huf/schlafstoerungen-bei-pferden-so-helfen-sie.1657476.233219.htm#1
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