Vernachlässigen wir die Grundlagenarbeit?

26. April 2017

Ausbildung | Baumann-Pelly 

Würde ich über eine alltägliche Situation auf einem Reitplatz einen kurzen Lehrfilm drehen, bestünde dieser aus drei Szenen.

Der Fokus ist auf einen Reitplatz gerichtet, auf dem ein Reiter sein Pferd kreuz und quer dahin trabt. Er sitzt unruhig, mit gekrümmtem Oberkörper im Sattel und seine linke Hand ist auffallend stark verdreht und verkrampft. Insgesamt hat er Probleme das Pferd vor sich zu behalten. Als er plötzlich beginnt Seitengänge zu reiten, wird es noch kürzer im Hals und eilt davon… – Schnitt

Ein Trainer betritt den Platz. Der Reiter hält neben ihm an und beklagt sich, dass sein Pferd ständig wegläuft, nervös ist und sich bei der Traversale permanent verwirft. Während der Diskussion mit dem Trainer versucht er, mit abgespreizten Unterschenkeln am Zügel riegelnd, sein Pferd abkauen zu lassen… – Schnitt

Reiter und Pferd verlassen den Platz und biegen kurz darauf in zackeligem Schritt in eine schmale Gasse ab. Jemand  ruft ihnen nach: „Hier geht es nicht weiter, drehen Sie um,“ – der Hufschlag verhallt jedoch in der Ferne… – Fin

Die oft deutliche Vernachlässigung der Grundlagen in der Ausbildung und der frühe Drang nach schwierigen Übungen führt  viele Reiter in eine Sackgasse , aus der, je länger sie hinein reiten, immer schwerer zu entkommen ist.

Jeder Reiter hat in Bezug auf sein Ziel gewiss ganz unterschiedliche Wünsche und Träume, entstanden meist durch Eindrücke aus Reitkunst,  -sport und -literatur. Sie zu verwirklichen, funktioniert aber nur, indem er sich eine solide Basis verschafft.

Einerseits kann auf Bilder, welche oft schwere Lektionen zeigen, nicht verzichtet werden, denn sie sollen wiedergeben, wie es richtig aussieht und Vorbild für das anzustrebende Ziel sein. Andererseits hört, sieht und liest man immer häufiger nur mehr von Seitengängen und anderen S- oder Grand Prix-Lektionen. Leider geht der Blick auf die Grundlagen dabei oft verloren. Der Weg führt uns definitiv nur wirklich weiter, wenn wir das Einfache richtig machen, was aber schwerer ist als allgemein angenommen.

Englische Part-Bred Stute  „Sally Ann“ im Arbeitstrab unter ihrer Ausbilderin D. Baumann-Pellny  / Foto: Daisuke Schneider

 

Reiten beginnt mit der inneren und äußeren Haltung des Menschen

Die klassische Ausbildung fordert in erster Linie die Schulung des Reiters durch theoretisches Grundlagenwissen und parallel dazu richtig aufgebaute Praxis, beginnend mit konsequenter Sitzschulung. Der Reiter muss lernen, an sich zu arbeiten. Das Pferd macht keine Fehler, es reagiert nur und ist unglücklich, wenn es schwammige Anweisungen bekommt.

Allein der Reiter muss seine persönlichen Schwachpunkte bekämpfen, um ihm  zunehmend präziser vermitteln zu können, was es tun soll. Er muss bemüht sein, durch „das Schauen ins Pferd“ und achtsames Handeln  Fehler  weitgehend zu vermeiden, denn nur daraus entstehen beim vierbeinigen Partner  falsche Reflexe, die schnell zum Automatismus werden.

Unser Reiter im Film könnte durch Umdenken, gezieltes Körpertraining, korrektes Reiten von Hufschlaglinien und konstantes, taktmäßiges Traben viele positive Veränderungen schaffen, welche bald richtige Reaktionen beim Pferd hervorrufen und somit „positive Gewohnheiten“ erzeugen würden.

Wichtiger Grundsatz ist, sich an der Basisarbeit, einfach am ruhigen, ausschreitenden Schritt, fleißigen, taktmäßigen Trab, gut gesprungenen Galopp und der harmonischen Zusammenarbeit mit seinem Pferd zu erfreuen.

 

Maria Liebsch und Achal-Tekkinerstute „Muschmulla“. / Foto: Josef Krizek

 

Sicherheit beim Reiten fordert solide Ausbildung von Reiter und Pferd.

Die Ausbildung beider ergänzt sich in einem endlosen Kreislauf: In vielen Situationen sollte man Pferde zwar einfach nur gehen lassen, gleichzeitig muss man sie aber auch sicher führen können, sonst gehen sie von den Hilfen und übernehmen schnell selbst das Kommando. Verhindert wird dies allein durch aufgebautes gegenseitiges Vertrauen, richtige Gymnastizierung und dadurch erreichte Durchlässigkeit des Pferdes. Dies wiederum vermag nur

der gut geschulte Reiter, der zuvor unabhängig sitzen gelernt hat, seine Hände ruhig in der Grundposition halten kann und fähig ist, gefühlvoll, überlegt und bewusst einzuwirken. Dies heißt weiter und hier schließt sich der Kreis, dass er das Pferd nur dann fein abstimmen und dadurch sicher führen kann.

Vollblutaraberhengst „Sagitario“ unter seiner Ausbilderin Dorothee Baumann-Pellny im versammelten Trab / Foto: Josef Krizek

 

Sitz in Balance

Zum ruhigen, unabhängigen Sitz gehören Balance, Losgelassenheit und Eingehen in die Bewegung des Pferdes. Dies ist schwer, denn sobald ein Pferd größeren Raumgriff und Schwung zeigt oder sich  verspannt,  halten sich viele Reiter durch motorische Überforderung am Zügel fest. Wichtig ist also das Erarbeiten eines zentrierten Sitzes mit Blick auf Beweglichkeit, Flexibilität sowie intensive Schulung der korrekten Haltung und Grundstellung der Hände. Bis man aber die Hände bei lockeren Hüft-, Schulter-, Ellbogen und Handgelenken entspannt sinken lassen sowie ruhig und senkrecht zu tragen vermag, braucht es Geduld.

 

Handeinwirkung

Mit der Hand, sprich den Zügeln einzuwirken, bedeutet eine konstante, weiche Verbindung zum Pferdemaul. Präzise Einwirkungen funktionieren nur, wenn man ruhig sitzt und die Hände fähig sind unabhängig von jeglicher Körperbewegung minimal zu agieren.  Jede Zügelhilfe muss immer durch Gewicht- und Schenkelhilfen unterstützt werden, d. h. der vortreibende Impuls des Reiters muss in seiner Stärke immer über jeglicher Zügelhilfe stehen. Kurz nacheinander oder gleichzeitig erfolgt dann das feine Nachgeben oder Auffangen in Milligramm mit den Zügeln.

Meistens jedoch wird das Pferd nur im Maul festgehalten und die beste Position der Hände wirkt hart auf die Kinnladen, ist völlig wirkungslos, wenn  innere wie äußere Haltung und Gefühl des Reiters fehlen. Ein Fehler, der schwer zu korrigieren ist und eine weitere Ausbildung verzögert oder unmöglich macht. Wichtig ist, das Pferd mehr gehen- und wie es Wort wörtlich heißt, an die Hand herantreten zu lassen. Die Dosierung und Anwendung der vielen feinen Einwirkungsnuancen, welche sich nach Temperament und Ausbildungsgrad des Pferdes richten, verlangen Zeit und Einfühlungsvermögen.

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Ein wichtiges Ziel ist, sich nie am Zügel festzuhalten – sie aber sicher in der Hand zu haben.

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Reitkunst besteht nicht allein im Reiten schwieriger Übungen

 

Die Kunst des Reitens beginnt beim Erarbeiten und sich Verinnerlichen der Grundlagen und ihrer richtigen Umsetzung auf dem Pferd. Nur zwischendurch und im richtigen Moment sollte dann z. B. ein Travers, eine Piaffe oder ein spanischer Schritt auf einem Lehrpferd ein Bonbon für den Lernenden sein.

Sitzübungen auf piaffierendem Pferd vermitteln das feinste Gefühl. Maria Liebsch und „Nupcial“ /  Foto: Josef Krizek

 

Jeder Mensch, welcher sich dem Weg in Richtung  Reitkunst zuwendet, muss sich bewusst sein, dass allein durch konsequentes Arbeiten an sich Selbst, Reiten mit Gefühl und Achtsamkeit auf jedes Detail,  die Chance besteht, an den verfänglichen Sackgassen vorbeizureiten. Allein die Liebe zu seinem Pferd  und die Freude am Reiten müsste ihn bereits zu Körper- und Selbstkontrolle beflügeln, denn nur dadurch wird er erst seinen kleinen Zielen und damit Schritt für Schritt seinem großen Traum näherrücken.

Dorothee Baumann-Pellny

 

Über die Autorin:

Dorothee Baumann-Pellny ist Reitlehrerin FN und verfügt über eine 50-jährige Erfahrung im Sattel. Sie hat an die 1000 verschiedene Pferde geritten und mehrere davon von der Remonte bis zu den Schulen über der Erde ausgebildet. Die Autorin wurde durch ihre Auftritte im In- und Ausland bekannt und ist als Ausbilderin gefragt. Sie lebt mit ihrer Familie und ihren Pferden in Baden-Württemberg.

Dorothee Baumann-Pellny ist Autorin der erfolgreichen Reitlehre „Im Damensattel“ die 1998 in der Reihe Documenta Hippologica beim Georg Olms Verlag erschien. In der selben Reihe erschien 2013 ihr zweites Werk, „Stufen der Reitkunst“, mit dem die Verfasserin die naturbezogene Reitlehre, verbunden mit Erfahrungen und persönlichen Eindrücken aus fast 50 Jahren Reiterleben, dokumentiert.

Foto: Dorothee Baumann-Pellny mit Sagitario und Muschmulla / Foto: Maria Liebsch

 

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Nachgefragt bei Dorothee Baumann-Pellny

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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“

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