Rittmeister a.D. Georg Wilhelm von Reden-Lütcken – Teil 2

14. März 2023

Freiheit für die Ganaschen
Lösen von Ganaschen und Genick: Sogar im hohen Alter war der Schorse trotz seiner Leibesfülle – wegen weltlicher Genüsse und trotz des  Schafwollemantels – noch in der Lage, auf jedes seiner Pferde zu steigen und sie nach erstem Lösen durch mich im Stand oder Schritt locker in Ganaschen und Genick zu machen. Diese Technik habe ich bisher nur missbraucht gesehen: Wenn jemand das Pferd am Gebiss im Stand nach oben zieht,  dann drückt das Pferd den Rücken weg! Wer das Hologramm mit den Energiemeridianen kennt, das zeigt, auf welche Organe harte Einwirkung auf das Gebiss eines Pferdes, auf zarte Lippen, Zähne, Zahnfleisch und Gaumen hat, wird diese Technik doch bitte nicht missbrauchen… viele Zuschauer machen das einfach nur nach.

Im Viereck wie im Gelände
Hohe Lektionen ließ mich der Schorse immer zuerst im Wald auf einer Lichtung oder auf seinen Stoppelfeldern rund um den Hof in Deinste üben: „Vergesst mir den äußeren Zügel nicht!“ – davon träume ich noch nachts! Wenn ein Wildschwein aus dem Dickicht schaut, wirst Du ziemlich schnell, ob nun mit oder ohne Zügel! Trotzdem habe ich von dieser Übung schwer profitiert: Zu meinen Lieblingslektionen gehört heute, Paare auf dem Mittelzirkel galoppieren zu lassen, nur mit Hilfe von Außenzügel und –schenkel: Wer mal gespürt hat,
wie schön das ist, der will nie wieder anders reiten. Die Pferde lieben es… Das erste Mal, als ich einen Hauch davon verspürte, was es heißen kann, mit einem Pferd eins zu sein, erlebte ich auf seiner Aloe. Ich durfte die Stute, die bei seinem Sohn lebte und „zur Kur“ in Deinste war, auf dem Stoppelfeld gegenüber reiten. Sie war mächtig, wie die meisten Pferde aus seiner Zucht, aber kleiner als die Wallache. Nach kürzester Zeit reagierte sie so fein, als könne sie meine Gedanken lesen. Es war ein Hochgenuss und ich bildete mir ein, ich könne ein wenig reiten. Hat Aloe gleich im nächsten Moment widerlegt!
Kommentar vom Schorse: „Wenn Du auf dem Feld reitest, hast Du keine Bande mehr als Stütze“. Hier kommen Schenkel und Zügel als Zaunpfahl ins Spiel.
Hier gibt es kein Innen und Außen mehr wie in einer Bahn, wie in einem Viereck.

>>Das ist eine Kanone<<
Etwas in der Art hat der Schorse über mich gesagt, und wenn er noch erfahren hätte, dass ich Mitte der 80er mal eine Geländestrecke der Engländer auf einem fremden Pferd geritten bin, das ich nie zuvor gesehen hatte: Es kam so, weil mir mein damaliger Freund in Bückeburg den Start mit meinem ersten „Therapiepferd“ Santos verbieten wollte. Gut, Santos war nicht gerade ein „Buschpferd“, aber diese Strecke hätte er gekonnt. Als ich in voller Montur am Start wartete, um wenigstens noch Hauke und seinen Vater zu sehen, wie sie die Strecke Seite an Seite reiten, sprach mich ein Mann aus Minden an, wieso
ich nicht reite. Ich erklärte es ihm und da sein Partner auch ausgefallen war, bot er mir sein Zweitpferd an… Unverantwortlich? Nein, nicht wirklich. Ich sah die kleine, braune Stute an und dachte zuerst, sie sei doch viel zu mager für so einen Geländeritt. Dann stieg ich in den Sattel, passte die Bügel an und durfte einige Sprünge zur Probe machen. Die Braune ging ab wie Schmidts berühmte Katze: Sie wollte immer und um jeden Preis auf die andere Seite. Ich genoss die  Sprünge sehr und traute mich dann mit meinem „Sponsor“ auf die Q-Strecke, Bügel an Bügel. Was soll ich sagen? Abgesehen davon, dass wir außer  Konkurrenz starten mussten, weil wir nicht in dieser Kombination genannt waren, wären wir als Fünfte im Gesamtergebnis vor Hauke und seinem Vater gelandet… Hurra.

Die Kraft Innerer Bilder
Überhaupt habe ich mir so viele Dinge vom alten Schorse angeeignet, jenem Rittmeister aus Ostpreußen, der bei uns hier gestrandet ist durch den Krieg. Viel von dem, was er sagte, klingt mir heute noch in den Ohren und erst jetzt verstehe ich manches erst wirklich. Beispiel erwünscht? Gern: „Vergesst mir den äußeren Zügel nicht!“. Damit verbunden war immer eine nette Geschichte aus seiner Kavalleriezeit mit einem Major und seinem Pferd Kakadu, das bei Olympischen Reiterspielen (und auch sonst wohl) gern mal im Parcours in Ruhe äppelte. Eines Tages, als ich ein schwieriges Pferd ritt, das immer ausbrach, kam mir dieser Spruch in den Sinn und ich merkte, dass ich gerade tat, was so viele tun: das Pferd am inneren Zügel ziehen, damit es nicht nach Außen ausbricht. Ich nahm also den äußeren Zügel an, gab innen nach, unterstützte mit dem Außenschenkel, trieb leicht innen und – siehe da – wie von Zauberhand ging Santos in wundervoller Biegung. Horrido, auf`s Feld! Aus dieser Erfahrung habe ich später die Übung für eine Schülerin gemacht und sie auf dem Mittelzirkel Galopp reiten lassen, nur Außenschenkel und Außenzügel (anlehnen, nicht aktiv Druck machen). Der Innenschenkel gibt nur den Takt und der Innenzügel hängt sogar durch, ohne dass der Außenzügel das Gebiss durch das Pferdemaul zieht. Das geht auch mit dem Reithalfter nach Erwin Meroth, wie alles sonst eben ohne Trensengebisse auch. Sie war begeistert, dass es funktionierte, und wenn sie es heute manchmal beherzigt, wird es vielleicht jemand sehen, verstehen und nachmachen. Philippe Karl zeigt es ganz klar bei seiner Pferdeausbildung: Der Kandarenzügel darf und soll sogar durchhängen. Wann haben wir das mal bei einem Grand Prix auf einem Turnier gesehen? Wenn ich alles nur mit learning by doing mache, tue ich einem Pferd unnötig weh oder ich tue ihm Unrecht. Das versuche ich zu vermeiden und ich entschuldige mich immer wieder bei meiner Stute, dass sie viel zu oft für mich das Übungsfeld war und durch mich leiden musste. Ich hoffe, ich konnte in den letzten 30 Jahren etwas davon wieder gutmachen.

Ich möchte jedem dringend empfehlen, vor allem mit einem jungen Pferd, sich einen guten Lehrmeister zu suchen. Einen wie den Schorse, da es solche wohl doch noch gibt: Kurd A. von Ziegner aus Mechtersen ist einer, dahin kann ich allen nur raten zu gehen. Gedanken zur Zucht: Wie kaum ein anderer heute, außer wohl Claus Schridde, hatte Schorse einen Fundus an Wissen über Stuten, Hengste und Genetik. Die Wahl der Hengste für seine Stuten fiel allgemein anders aus als der Rat eines Landstallmeisters: Modehengste hat Schorse gemieden wie wohl der Teufel das Weihwasser. Aus seiner Zucht stammen Pferde mit der nötigen Härte des Vollblüters, mit hoher Sensibilität und enormer Rittigkeit, wie sie Trakehnern eigentlich gern abgesprochen wird. Zu Unrecht, wie ich meine. Und heute? Gut, Anix bildete hinsichtlich der Sensibilität rühmlich die Ausnahme, `tschuldigung – Meine Stute, das letzte Fohlen aus seiner Zucht (*1979), tritt den Beweis für seine Fachkenntnis immer wieder an: Sie hat das Blut, auf dem die Zucht heute in Hannover aufbaut! Allerdings hatte sie die typische Eigenschaft: Spätreife der Trakehner… Vor ihrem fünften Lebensjahr waren alle Versuche strengen Anreitens für die Katz`. Erst ab acht Jahren entfaltete sie volles Potential. Von da an habe ich nur noch geerntet. In dem Alter sind die Sportpferde heute doch schon fast alle platt. Ihr Sohn vereinigt Dank des Hengstes Lemon Park ihre Stärken und die des Hengstes, der Lucero Park („Mini“) die von Mutterseite anfangs fehlende Rittigkeit und Nervenstärke vererbt hat. Diskussionen über die heutige Zucht machen mir wegen der „Impfung“ durch Schorse bezüglich seines Wissens über Genetik inzwischen großen Spaß: So legte ich mich mit einem Züchter an, der verächtlich behauptete, der Großvater meiner Stute auf mütterlicher Seite, Jonkheer xx, sei doch „so ein alter Knochen“ gewesen! Dieser „alte Knochen“ war im hohen Alter noch in der Verdener Reitschule gut genug, hart genug, um Anfänger trotz deren mangelnder Kenntnisse durch die Prüfung zum Amateur-Reitlehrer zu schleifen! Welcher Hengst vom Landgestüt kann das noch in dieser unvergesslichen Art?
In memoriam G. W. von Reden-Lütcken: Bei meinem Besuch an seinem Grab stellte ich fest, dass meine Shirkhana, geboren am 16.04.1979, den Geburtstag am selben Tag hat wie die verstorbene erste Frau des Rittmeisters a.D. den Todestag? Was bedeutet das? Auf jeden Fall, dass es noch eine Verbindung zwischen uns gibt: www.hofgut-georgenau.de


 

Text und Foto: Karopa Bady

 

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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“

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