
Pferdezucht und Pferderassen / Buchbesprechung
Enttäuschend!
18. März 2025
Von Dr. Hanfried Harings Buch „Pferdezucht und Pferderassen – im Wandel der Zeit“, das gerade von der FN herausgegeben wurde, hatte ich mir eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Pferderassen und Typen insbesondere die Unterschiede im Körperbau zwischen den Warmblütern des vorigen Jahrhunderts und den heutigen modernen Sportpferden gewünscht. Dieser Wunsch wurde zu meinem großen Bedauern nicht erfüllt.
Dr. Hanfried Haring ist Agrarwissenschaftler und Pferdesportfunktionär. Seit 1972 ist er Geschäftsführer der Abteilung Zucht der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Er war an der Festlegung des gemeinsamen Zuchtziels aller deutschen Pferdezuchtverbände beteiligt, das 1975 verabschiedet wurde. Damals wurden auch Regeln für die Hengstleistungsprüfung beschlossen, ebenso wie die Einführung einer Zuchtstutenprüfung. Seit 1991 basiert die Zuchtwertschätzung darauf, dass „die genetische Veranlagung geschätzt aus Eigenleistung plus Leistung der Verwandten“ zu Grunde gelegt wird.
War es bisher allgemeine Praxis den Zuchtwert eines Tieres durch den Phänotyp des Individuums und seiner Elterntiere sowie Voll- und Halbgeschwister festzulegen und den Genotyp über den Phänotyp seiner Nachkommen zu bestimmen, so wird heute hierzulande in der Pferdezucht zur Bestimmung des Zuchtwerts die alleinige Selektion auf Sporterfolge angewandt.
Das 1975 beschlossene Zuchtziel fand über viele Jahre allgemeine Zustimmung: „Gezüchtet wird ein edles, großliniges und korrektes Reitpferd mit schwungvollen, raumgreifenden, elastischen Bewegungen, das auf Grund seines Temperaments, seines Charakters und seiner Rittigkeit für Reitzwecke jeder Art geeignet ist.“ Es verwundert allerdings, dass Dr. Hanfried Haring, der Ansicht ist, dass dieses Zuchtziel durchgängig seit 50 Jahren mit Erfolg angewendet wird. Zumal seit fast dreißig Jahren Warmblüter gezielt getrennt entweder als Spring- oder als Dressurtalente gezüchtet und bewertet werden.
In diesem Zusammenhang fehlen mir die Beschreibungen sowohl des Phänotyps des „alten“ Warmblüters als auch die der heutigen Auswahlkriterien. Theoretisch mag das 1975 formulierte Zuchtziel noch gelten, doch praktisch sieht die Zuchtauswahl inzwischen deutlich anders aus.
Hier hätte ich vom Autor Aufklärung erwartet etwa, warum grundsätzlich mehr Größe positiv sein soll. Warum längere Beine und insbesondere längere Vorderbeine für das Bergaufmodell von Vorteil sein sollen; zumal Dr. Hanfried Haring völlig richtig bemerkt, es sei beim Pferd möglich die voraussichtliche Leistungsfähigkeit und die voraussichtliche Vererbung an der Konstruktion der Gliedmaßen und der einzelnen Körperpartien festzustellen, da diese eng mit der Leistung korrelieren. Hier hätte ich mir ein paar Beispiele mit ausführlicher Beschreibung gewünscht.
Es gibt eine Vielzahl von Bildern im Buch, sowohl von den alten Typen als auch vom neuen Sport-Modell, doch fehlen Hinweise zum Körperbau; es werden nur der Name und das Geburtsjahr angegeben. Diese Bildübersicht schließt mit der Feststellung: „Diese Studie zeigt, dass der Umzüchtungsprozess in Hannover in den 1970er-Jahren abgeschlossen ist.“
In den Folgejahren ist jedoch noch sehr viel passiert, das einer kritischen Betrachtung bedürfte.
Grundsätzlich scheint Dr. Hanfried Haring nicht näher auf die „Beurteilung des Reitpferdes“ eingehen zu wollen. Er verweist auf ältere Schriften, die das ausführlich getan hätten und stellt besonders die Schrift „Die Beurteilung des Warmblutpferdes“ von Gustav Rau heraus. Das entspricht zwar der FN-Politik, die noch immer Dr. Gustav Rau als Zuchtexperten rühmt und regelmäßig Züchter mit Gustav-Rau-Plaketten in Gold, Silber und Bronze für ihre Arbeit auszeichnet. Es ist jedoch beschämend, dass die braune Vergangenheit der Reiter noch immer nicht aufgearbeitet wurde und Gustav Rau als glühender Vertreter der Nazi-Ideologie, der die Reinrassigkeit aus der Tierzucht auch auf den Menschen anwenden wollte, weiterhin als großer Fachmann gepriesen wird. Rau verfolgte ein einziges Zuchtziel, ein vielseitiges, leichtfuttriges Soldatenpferd mit raumgreifenden Bewegungen. Er hatte kein Verständnis für andere Pferdetypen, wie beispielsweise den Lipizzaner, deren züchterischer Schwerpunk auf der Versammlungsfähigkeit liegt. Er verkaufte die besten Stuten, weil er sie für „Inzuchtgeschädigt“ hielt.
Gegen Ende des Buchs geht Dr. Haring dann doch noch kurz auf Körperteile, wie Gliedmaßen Rücken etc. ein und beschreibt was allgemein wünschenswert wäre. Dabei geht er auf Seite 230 auch auf die Größe des Brustkorbs ein „denn sie bildet Raum für wichtige Organe“ und weiter „Die Breite der Brust bestimmt die Weite der Standfläche und ist somit die Basis für die Sicherheit der Bewegung des Pferdes“ das trifft absolut zu, wird leider im Folgenden als heute unwichtig abgetan: „wenngleich letzteres bei den heute im Sport eingesetzten Pferden aufgrund langjähriger Selektion kaum von Bedeutung ist.“ Dr. Haring weicht hier von seiner eigenen Aussage ab, die besagt, dass Körperbau und Leistungsfähigkeit eng zusammen gehören. Er gibt auch hier keine weitere Erklärung ab was die heutigen schmalbrüstigen, langbeinigen Pferde entgegen physikalischen Gesetzen angeblich sicher in ihrem Bewegungsablauf machen soll.
Der Autor führt neben dem Deutschen-Warmblut auch Warmblüter benachbarter europäischer Nationen, sowie eine ganze Reihe weiterer Pferde- und Ponyrassen mit Kurzbeschreibungen auf. In einigen Fällen sind die Angaben allerdings schlicht falsch. So wird beim Lipizzaner die unzutreffende Behauptung wiederholt er gehe auf das „heimische Karstpferd“ zurück. Das Karstpferd war bei Gestütsgründung 1580 schon lange ausgestorben. In der Zucht dieser zur Repräsentation bestimmten edlen Prunk- und Paradepferde wurden nur ausgewählte aus Spanien und später auch aus Neapel importierte Pferde verwendet und keine indigenen „slowenischen Stuten“. Auch wurde nicht die „Spanische Hofreitschule“…“1735 von Fischer von Erlach erbaut“, das war der Reitsaal, die Spanische Reitschule geht in ununterbrochener Tradition auf das Jahr 1565 zurück.
Die Wuzeln des Kladrubers gehen weiter zurück als von Dr. Haring beschrieben. Mitte des 16. Jahrhundert zogen im Gestüt die ersten spanischen Pferde ein. 1579 wurde Kladrub Hofgestüt und in den folgenden Jahrhunderten bestand ein reger Austausch an Zucht-Pferden zwischen den Gestüten Kladrub und Lipizza. Erst als große Karossen ein stärkeres Wagenpferd notwendig machten, wurde in Kladrub durch Einkreuzung großrahmiger, kalibriger Hengste die Zucht auf einen starken Karossier umgestellt.
Die Aussage: „Die Rappen starben nach dem Ersten Weltkrieg nahezu aus.“ trifft die Tatsachen nicht ganz. Die Machthaber der „ersten Republik“ Tschechiens beabsichtigten die Kladruber Rappen gezielt auszurotten. Sie verkauften viele Pferde und schickten wertvolle Hengste zum Schlachter.
Bei der Wiederbelebung der Zucht wurde vorwiegend auf Lipizzaner-Rappen zurückgegriffen, aber auch auf Orlow-Traber und den Friesenhengst Romke, dessen Nachkommen schwerpunktmäßig den Stutenbestand genetisch auffrischten. Obwohl Dr. Haring nur Romke als bedeutend für die Erneuerung der Zucht erwähnt, wurden nur wenige Romke-Söhne in der Zucht eingesetzt, da die von ihm vererbten geraden Köpfe und Kötenbehänge beim Kladruber unerwünscht sind.
Im geschichtlichen Rückblick geht Dr. Hanfried Haring mit Siebenmeilenstiefeln über die Entwicklung der Beziehung von Pferd und Mensch hinweg. Zwar erwähnt er Xenophons „Peri Hippikes“, die Schrift beinhaltet jedoch mehr als seine Gedanken über die Reitkunst. In diesem Zusammenhang wären Xenophons Hinweise zur Beurteilung eines leistungsfähigen Pferdes erwähnenswert gewesen. Vor allem die Bedeutung eines stabilen Fundaments ohne das selbst der schönste Oberbau keinen Wert hat.
Dr. Hanfried Harings Feststellung, die letzte Eiszeit habe die Pferde in Nordamerika ausgerottet, wird heute kontrovers diskutiert. Zum einen endete die letzte Kaltzeit vor rund 11 700 Jahren und das Pferd starb in Amerika erst vor 10 000 Jahren aus; zum anderen wird vor allem von Genetikern vermutet, dass die frühen Menschen als Großwildjäger Pferde im Übermaß bejagt haben. Auch in anderen Regionen wurden zuerst die großen Tiere wie das Mammut und das Wollnashorn als Nahrungsquelle genutzt, bis diese verschwunden waren.
Unverständlich ist, warum ausgerechnet das Buch des Philosophen und Historikers Ulrich Raulff „Das letzte Jahrhundert der Pferde“ von Dr. Haring mehrfach zitiert wird. Raulff zeichnet ein lebhaftes Bild von den grauenhaften Zuständen von Lärm, Gestank und Mist in den europäischen Großstädten auf Grund des Einsatzes von Hunderttausenden von Pferden. Im Vergleich sei der Lärm, Gestank und die Luftverschmutzung durch den massiven Einsatz von Verbrennerfahrzeugen in diesen Städten heute angeblich weniger schlimm.
Raulff wird nochmals mit seiner Aussage zitiert, in der heutigen Zeit werde „das Pferd als Freizeitartikel und Seelsorger der weiblichen Pubertät“ eingesetzt. Dies ist eine überhebliche und sexistische Einschätzung, die die Realität leugnet. Die Zucht ist auf Top-Pferde für den internationalen Sport ausgerichtet, für die in Auktionen Millionen Beträge ausgegeben werden. Diese bedauernswerten Kreaturen sind keineswegs Streicheltiere für kleine Mädchen, sondern Sportgeräte für zum Teil skrupellose Sportler.
Von diesem Buch hatte ich eine Beschreibung der züchterischen Veränderung erwartet -wenn auch keine kritische Darstellung von einem ehemalig Verantwortlichen. Das umfangreiche Bildmaterial hätte dafür eine hervorragende Grundlage geboten. Offenbar können oder wollen bis heute Funktionäre des Geschäfts mit Pferden die Verbindung zwischen Körperbau und Leistungsfähigkeit nicht wahrhaben. Obwohl der Zusammenhang in Worten im Buch anerkannt wird, werden die Auswirkungen auf das Leben der Pferde und die Praxis immer brutalerer Ausbildungs- und Reitmethoden abgestritten. Dies macht zusammen mit sachlichen Fehlern das Buch nicht empfehlenswert.
Barbara Schulte
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