Die Rechte der Pferde
11. Dezember 2023
Was bedeutet artgerechte Haltung und Pferdewohl? Welche Gesetze, Regeln und Rechte gibt es? Und wie beachtet und wahrt man die Bedürfnisse der Pferde? Marlitt Wendt widmet sich den vieldiskutierten Fragen nach Individualitäts- und Persönlichkeitsrechten von Tieren und gibt Anregungen für eine artgerechte Haltung, bei der das Wohl des Pferdes im Mittelpunkt steht.
Was hat Sie bewogen das Buch „Rechte der Pferde“ zu schreiben?
Tierschutz und insbesondere die Arbeit rund um das Pferdewohl sind mir seit Jahrzehnten eine Herzensangelegenheit. Neben vielen anderen Tierschutzprojekten hat sich für mich irgendwann die Frage gestellt wie ein konstruktiver Beitrag überhaupt aussehen könnte. Denn ich bin davon überzeugt, dass es bei der Vielzahl an Problemfeldern im Pferdebereich, bei den erbitterten Grabenkämpfen der unterschiedlichen „Lager“ innerhalb der Pferdeszene und bei den zumeist höchst emotional geführten Diskussionen immens wichtig ist Brücken zu bauen und den Dialog zu fördern. Dazu wollte ich einen sachlich und wissenschaftlich fundierten Beitrag leisten. Es geht mir also darum zum einen die Selbstreflexion eines jeden Lesers oder Leserin anzuregen, um sich mit den komplexen Themen der Pferdeethik wirklich auseinanderzusetzen. Zum anderen geht es mir darum die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um das Thema Pferdeleid und Pferdewohl so verständlich aufzubereiten, dass sie als Argumentationshilfe dienen können.
Ich habe mehrere Jahre an diesem Buch gearbeitet, da ich mich nicht rein emotional von der nie enden wollenden Flut an Skandalen beeinflussen lassen wollte. Es geht mir nicht um Einzelpersonen oder die Auflistung sämtlicher Negativschlagzeilen, sondern darum den Pferden eine Stimme zu geben.
Welche Kernaussage greifen Sie in Ihrem Buch auf?
Für mich ist der Kern des Buches sicher die Selbstreflexion. Wir alle, die wir mit Pferden zu tun haben sind ja diejenigen, die die Zukunft der Pferde in der Hand haben. Wir sind es die also auch Zukunftsvisionen entwickeln können. Und das wird nur funktionieren, wenn man ganz persönlich für sich selbst definiert wie man sich so ein ideales Pferdeleben vorstellen würde. Erstmal unabhängig davon ob es wirklich praktisch durchführbar wäre. Aus diesem Traum heraus wird man schnell auch die Abweichungen davon bei sich selbst und bei anderen finden. Und da kann jede*r dann ansetzen etwas zu bewegen und zu bewirken. Im Großen wie im Kleinen. Beim eigenen Pferd und dem eigenen Umgang beginnen, aber auch zu hinterfragen wen oder was man selbst mit dem eigenen Geld und der eigenen Aufmerksamkeit unterstützt. Wenn es die „falschen“ Adressen sind, dort das Pferdewohl nicht an erster Stelle steht, kann man mit dem Entzug der Aufmerksamkeit ein Zeichen setzen. Veranstaltungen nicht mehr besuchen, bei denen der Tierschutz missachtet wird zum Beispiel. Nicht mehr bei Anbietern einkaufen, die fragwürdige Ausrüstungsgegenstände vertreiben. Trainer nicht mehr buchen, die Gewalt am Pferd ausüben. Und so weiter. Ganz wichtig ist es mir dann die Personen oder Institutionen, die gute Ideen im Bereich Pferdewohl haben, dann auch aktiv zu unterstützen. Finanziell zum einen, aber auch mit der eigenen Unterstützung im Internet Es geht um die Verbreitung von Ideen. Da hilft jeder Like, jedes Teilen oder auch das Einbringen von eigenen positiven Ideen. Wir brauchen alle Visionen, positive Bilder, wie es auch aussehen kann. Mehr glückliche Pferde und gelungene Momente zwischen Pferd und Mensch nach außen zu tragen, darum geht es mir im Kern. Oder auch zusammengefasst: „You can be the change“.
Was bedeutet für Sie artgerechte Pferdehaltung?
Für mich bedeutet artgerecht zum einen dem Wortsinn entsprechend der Tierart Pferd würdigend. Ein Pferd muss ein Pferdeleben führen können und seine biologischen Grundbedürfnisse ausleben können. Davon gibt es sehr viele verschiedene, angefangen mit der Frage nach der Herdenzusammensetzung oder der benötigten Fläche bis zu Fütterungsfragen oder der Erfüllung nach den Ansprüchen eines gesunden Schlafs. Alles gleichzeitig zu erfüllen ist hochkomplex und das Schlaraffenland wird man vermutlich nicht erschaffen können. Pferdegerecht ist es für mich immer dann, wenn auch auf individuelle Themen geachtet wird. Ein altes Pferd hat andere Bedürfnisse als ein Junghengst, ein Vollblüter andere als ein Islandpferd. Wer so viele Themenfelder wie möglich berücksichtigt, der kann sich am Pferdewohl und nicht an Minimalanforderungen orientieren. Ich persönlich denke, dass gute Pferdehaltung da beginnt, wo die in den Richtlinien beschriebenen Mindestanforderungen nur als Grundlage genutzt werden und großzügig aufgestockt werden um den Pferden nicht nur eine pure Existenz zu ermöglichen, sondern einen Lebensraum zu gestalten, in dem sie aufblühen können und Lebensfreude verspüren können. Ein Haltungssystem sollte für mich nicht ein simpler Aufbewahrungsort sein, sondern als wirklicher Lebensraum möglichst vielfältige Anregungen, soziale Beziehungen und viel Platz bieten.
Sie raten Pferdebesitzern, bei sich selbst und beim eigenen Pferd mit Verbesserungen zu starten. Was sind dabei die größten Herausforderungen und Hindernisse?
Die klassischen Hürden die es zu bewältigen gilt sind für mich einmal die finanzielle Frage und zum anderen die Zeitfrage. Denn: alles rund ums Pferd – wissen wir alle – ist nicht gerade günstig. Je größer Areale sind, je mehr unterschiedliche Funktionskreise wir in der Haltung berücksichtigen wollen, desto mehr Anschaffungen gibt es, die wiederum umso mehr Pflege und Wartung benötigen. Das alles kostet sehr viel Zeit und Geld und ich glaube, das wird extrem unterschätzt. Das ist von vielen Stallbetreibern bei marktüblichen Preisen gar nicht umsetzbar. Daher ist es für mich wirklich entscheidend sich immer wieder persönlich die Frage zu stellen wie viel einem die artgerechte Haltung wert ist und wie viel man eventuell auch persönlich an Arbeitskraft einbringen könnte um die Situation für die Pferde zu verbessern.
Im Umgang mit dem Pferd sind aus meiner Sicht die größten Herausforderungen im Bereich der Gruppendynamik in Ställen zu finden. Da gibt es oft zu wenig Kommunikation und es werden Trainingspraktiken, die man „schon immer so gemacht hat“ gar nicht mehr in Frage gestellt. Ein Austausch darüber wie man Pferde schonend und sanft ausbilden kann und das Angebot der entsprechenden Fortbildungen sind für mich persönlich essentiell.
Was ist aus Ihrer Sicht als Verhaltensbiologin wichtig beim Umgang mit Pferden?
Im Umgang ist es für mich gewissermaßen als Mantra wichtig sich die Kommunikation als Dialog mit dem Pferd vorzustellen. Da ist ein Lebewesen mein Gegenüber, welches eigene Wünsche und Ideen hat. Um es nun auf meiner Seite zu haben, ist es wichtig, sein Freund zu werden. Das geschieht immer dann wenn man Beziehungsarbeit als Priorität vor sämtlichen Ausbildungsfragen sieht. Das Pferd soll sich mit mir wohlfühlen, zur Ruhe kommen und mir gerne folgen. Dazu ist es nötig sein verhalten genau lesen und einschätzen zu können um zu erkennen wann es denn glücklich und freudig ist und wann es auch nur minimal in Stress gerät. Wer die „Sprache der Pferde“, also sein Ausdrucksverhalten, seine Mimik und Körpersprache gut kennt, der kann Stimmungen und Gefühlslagen einschätzen und dementsprechend handeln.
Wie können Pferdemenschen sensibilisiert und aufgeklärt werden?
Zum einen glaube ich, dass es wichtig ist immer wieder positive Bilder zu zeigen. Solche, bei denen harmonische Pferd-Mensch -Beziehungen zu sehen sind, solche von zufriedenen Pferden und solche von korrekter Ausbildung. Im Vergleich mit den Negativtendenzen ergibt sich dann immer mehr das Wissen darum wie es eigentlich aussehen sollte, was klassische Ausbildungsziele im Sinne des Pferdes sein können und wie die Durchführung aussehen soll.
Zum anderen denke ich, dass es gut ist sich mit anderen ähnlich tickenden Pferdemenschen zu vernetzen. Wenn jeder nur so vor sich hin arbeitet, wird es schwierig eine wirkliche Gegenbewegung zu formieren. Es braucht, denke ich, Angebote zur Fortbildung und hoffentlich auch wirkliche Sponsorenangebote um positive Beispiele deutlich aus der Masse hervorzuheben.
Welche Rechte der Pferde sind Ihrer Meinung nach realistisch umzusetzen?
Im Freizeitbereich hoffe ich darauf, dass es realistisch ist das Recht auf ein Pferdeleben mit Leben zu füllen. Ich halte es für realistisch weil ich bereits in den letzten 20 Jahren eine große Bewegung hin zu mehr Pferdefreundlichkeit in Haltung und Umgang erlebt habe. Da wird schon so viel gut und richtig gemacht, dass andere jetzt locker nachziehen könnten – wenn ein Umdenken stattfinden würde. Die Forschungsergebnisse sind da, die Visionäre aus der Praxis haben Umsetzungsmöglichkeiten aufgezeigt, jetzt kann jede*r Einzelne handeln.
Was würden Sie in der heutigen Reiterwelt gerne ändern?
Ändern würde ich gerne den Blick auf das Pferd an und für sich. Es ist eine eigenständige Persönlichkeit und seine Daseinsberechtigung liegt für mich nicht in seiner Nutzbarkeit sondern in seiner puren Existenz. Ich würde mir wünsche, dass dieser Wert aus sich selbst heraus mehr gewürdigt wird. Immer noch werden viele Pferde abgeschoben, wenn sie alt oder krank sind. Aber das gehört zu jedem Leben – egal ob bei Pferd oder Mensch dazu. Ich würde mir wünschen dass das Pferd als Ganzes gewürdigt wird. Denn ich denke, nur so kann man authentisch auch auf das eigene Leben blicken. Es gibt nicht nur den Nutzen und die Außendarstellung, sondern das volle Paket Leben mit Krankheit und Tod. Von den Pferden können wir lernen uns wirklich und wahrhaftig mit der eigenen Vergänglichkeit und wirklichen, fruchtbaren Beziehungen auseinanderzusetzen. Sie zeigen uns über ihr Pferd-Sein den Weg zu mehr Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit.
Buchtipp Die Rechte der Pferde
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