Die “barocke Reitkunst” hatte ausgedient…

11. Juli 2022

Barocke Reiterei | Corinna Scholz

Auf den Schlachtfeldern Napoleons und im folgenden Jahrhundert war das kleinere, kompaktere iberische Pferd nicht mehr gefragt. Mischungen aus hochblütigen Pferden und den schweren Landschlägen der jeweiligen Regionen waren zu der Zeit modernes Kriegs- und Transportgerät. Die Stärken lagen in Raumgriff und Vorwärtsdrang, beides Eigenschaften, die vor allem die Kavallerie zu schätzen wußte, wenn es galt, die feindliche Artillerie in wilden Angriffskavalkaden zu überrennen.

Das Barockpferd war ein Statussymbol des Adels; es sollte Adel, Feuer und Temperament ausstrahlen. Beim Kavalleriepferd der großen Reiterschlachten ging es um Kadavergehorsam: Der Adel hatte sich längst auf Kommandoposten am Rande des Schlachtfelds zurückgezogen.

Gut ausgebildete, feinfühlige Pferde waren als Kanonenfutter nicht nützlich (und entschieden zu teuer), dafür aber solche, die im herdentriebartigen Galopp praktisch nicht zu stoppen waren. Hier kam es nicht auf feinste Hilfen, enge Wendungen oder die einhändige Zügelführung des vom Sattel aus kämpfenden Fürsten an; gefragt war einzig Beschleunigung, Raumgriff und Größe. Das “moderne“ Kavalleriepferd hatte das “altmodische“ Barockpferd aus der taktischen Kriegsführung verdrängt.

Fast wäre es der militärischen Modernisierung ganz zum Opfer gefallen, wenn sich nicht in Spanien die Mönche der Cartuja, des Karthäuser-Ordens, dem Edikt Napoleons widersetzt hätten, in alle alten spanischen Blutlinien die “modernen” rechteckigen Vollblüter und Karossiers einzukreuzen. Die Mönche versteckten ihre besten spanischen Zuchthengste und züchteten munter weiter – den “altmodischen” Barocktyp. Die Cartujanos haben letztlich das iberische Pferd in seinem Bestand gerettet und auch solche Blutlinien wieder aufgefrischt, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten durch den genetischen Modernisierungswahn der napoleonischen Kavallerie zu sehr verfremdet worden waren. Heute gelten sie als reinste spanische Rasse (P.R.E. = Pura Raza Espanola) überhaupt und tragen den unter Kennern begehrten Kandarenbrand.

Jedoch müssen in diesem Zusammenhang auch die Lipizzaner erwähnt werden, deren fast zerschlagene Zucht überlebt hat und auch die Friesen kann man hier aufzählen, nachdem es sich einige beherzte Züchter der kurz vor dem Aussterben der Rasse zum Ziel machten, die „schwarzen Perlen“ zu erhalten.
Dass wir heute „Barockpferde“ haben in ihrer jetzigen Form ist also, wie so oft, einigen Liebhabern zu verdanken, die uneigennützig ein Kulturgut erhalten wollten – und dessen sollte man sich bewusst sein, wenn diese Rassen heutzutage zu Sportzwecken verändert werden sollen…

Und der Unterschied zur heutigen Dressur, zum Dressurpferd im Sport?
In der modernen Dressur wird zum großen Teil der Sinn und Zweck der dressurmäßigen Übungen aus den Augen verloren und Piaffe, Passage, Galoppwechsel, Traversale etc. zum Selbstzweck erhoben. Dabei war die Dressur (und somit auch die ganze Hohe Schule) zu nichts als zur Gymnastizierung der Pferde gedacht; ein Trainingsprogramm, das aus dem Pferd einen Hochleistungsatlethen machen sollte – kurzum, ein Pferd, das am ganzen Körper so locker, gelöst und muskulös durchtrainiert war, um seinen eigentlichen Aufgaben mit Leichtigkeit und ohne körperlichen oder seelischen Schaden gewachsen zu sein: dem reiterlichen Nahkampf, dem Stierkampf oder auch nur dem machomäßigen Paradieren im Park.

Die “Dressur” war nie Selbstzweck, sondern – anders als heute – stets nur Trainingsmethode.

So wenig sich irgendein Reiter auch nur wünschen könnte, den Grad seiner Ausbildung unter Einsatz seines Lebens testen zu müssen – der heutige Mangel an der offensichtlichen Notwendigkeit, gründlich reiten zu lernen, hat doch letztlich die Reitkunst vielerorten verdorben.

Schon im ausgehenden Barock des 18. Jahrhunderts, als die Reitkunst längst nicht mehr am Kriegshandwerk, sondern eher „pour plaisir“ (also, zum reinen Vergnügen des Adels) betrieben wurde, beklagte der französische Reitmeister François Robichon de la Guérinière allenthalben: „Zu unserer Schande muss man es gestehen, dass die Liebe zu dem wahren Schönen in dieser Kunst in unseren Tagen gar sehr abgenommen hat. Anstatt daß man sich … um die schönsten und schwersten Schulen bemühte … so begnügt man sich gegenwärtig mit einer gar zu nachlässigen Ausübung.“

 

Danke!

Auf meine vielen Fragen bekam ich von Christin Krischke (Fürstliche Reitschule Bückeburg – die „Tjoster“), diese hochinteressanten Antworten.

Corinna Scholz

 

Weiterlesen: Machen Barock-Turniere Sinn?


Über die Autorin:

Corinna Scholz ist Pferdewirtin FN Schwerpunkt Reiten mit jahrzehntelanger Erfahrung im Dressur-, Vielseitigkeits- und Springsport, die sich nach ihrer Turnier-Laufbahn der feinen Pferdeausbildung und Reiterei verschrieben hat und dies auf Messen und großen Veranstaltungen in diversen Schaubildern präsentiert hat. Neben ihrer Ausbildertätitgkeit hat sie diverse Workshops und Seminare zu verschiedenen Themen rund ums Pferd veranstaltet. Sie gründete 2004 das Team Légèreté e.V. und richtet als Prüferin Breitensport verschiedene Breitensportturniere. Corinna Scholz hat in diversen Fachmagazinen Artikel rund um das Thema Pferd veröffentlicht und ist seit 2010 ständige Mitarbeiterin der Zeitschrift Hofreitschule. 2014 erschien ihr erstes Buch, das „blv-Handbuch Bodenarbeit“. Weitere Informationen zur Autorin unter: www.tanzende-hufe.de


 

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