“Barocke Reitkunst” – was ist das überhaupt?

11. Juli 2022

Barocke Reiterei | Corinna Scholz

Eines kann man bei “Barock” eindeutig definieren – das Zeitalter: ca. 1600 bis 1750.
Selbstverständlich wurde in dieser Zeit auch geritten, meist auf mittelgroßen Pferden des iberischen Typs. Reiten war gleichermaßen Ausdruck von Adel, Wohlstand und feiner Lebensart. Nicht umsonst haben Worte wie Ritterlichkeit oder Kavalier ihre Wurzeln in dem schlichten Wort Reiter (Ritter oder dem französischen chevalier, sprich, Kavalier).

 

Das Zeitalter des Barock war in mancher Hinsicht eine Ära des Wandels; zu Beginn, im 17. Jahrhundert, war die Reitkunst noch stark eine Gebrauchsreiterei, also stark an den Bedürfnissen der berittenen Kriegsführung und des berittenen Nahkampfes ausgerichtet. Die Ausbildung von Pferd und Reiter war gründlich, hart, langwierig und lebensnotwendig; denn die Auslese auf dem Schlachtfeld war gnadenlos: Wer nicht gut genug war, überlebte nicht.

Wir haben heute nichts Vergleichbares (zum Glück!?) – mit Ausnahme des berittenen Stierkampfes auf der iberischen Halbinsel, wo Pferd und Reiter auch heute noch durch eine ähnlich harte und gründliche Schule gehen.

In den klassischen Reitakademien des Barock lernte die (damals freilich nur männliche) Elite des Adels nicht nur Reiten, sondern auch Fechten, Tanzen, die feinen Künste und Wissenschaften.

Bereits im ausgehenden Barock des 18. Jahrhunderts wurde aus dem einstigen Nahkampfspezialisten eher ein Repräsentationsobjekt; aber das war es eigentlich zu allen Zeiten und ist es auch heute noch und wieder.

Am barocken Reiten änderte sich dadurch der im wahrsten Sinne des Wortes “lebenswichtige” Zweck der Ausbildung – nämlich auf dem Schlachtfeld zu überleben – nicht, aber die Ausbildung selbst.

Die barocken Reitmeister förderten zuerst Schritt und Trab, daraus dann die Seitengänge, wobei das barocke Schulterherein anders als das moderne auch die Hinterhand übertreten lässt, also auf vier Hufspuren, um eine sorgfältigere Biegung des Pferdes zu erreichen.
Als nächste Lektion stand die Piaffe auf dem Ausbildungsplan, die heute in der modernen Dressur mit der Passage den Schlusspunkt der Ausbildung bildet.

Im Barock war die Piaffe eine wichtige Grundlage für die sogenannten “Schulen über der Erden” und die Schulsprünge wie Levade, Pesade, Ballotade, Croupade, Courbette und Kapriole, unabdingbare Lektionen für die Gefechtsreiterei.
Der Galopp wurde erst entwickelt, wenn ein Pferd schon in perfekter Selbsthaltung piaffieren konnte. So schreibt Reitmeister de la Guérinière in seinem vielzitierten Meisterwerk Reitkunst oder Gründliche Anweisung:

“Eine Regel, die von allen geschickten Reitern beachtet wird, ist, dass man niemals ein Pferd in Galopp setzen muss, bis es durch den Trab so gelenksam geworden ist, dass es sich von selbst, ohne in die Hand zu drücken oder zu ziehen, zum Galopp zeigt: man muss demnach warten, bis sein ganzer Körper biegsam ist, bis es in der Schule Schulter einwärts seine Schenkel zirkelförmig zu bewegen gelernt hat, bis es der Schule (Lektion) Kruppe an der Mauer den Schenkeln folgt, und bis es durch den stolzen Schritt (Piaffe) an den Pilaren leicht geworden ist.“

Die Pferde wurden generell später und länger ausgebildet (mit 5, 6 oder gar erst 7 Jahren) und lange und viel vom Boden aus gearbeitet; und: die Pferde wurden damals viel älter.
Während heute das statistische Durchschnittsalter des deutschen Reitpferdes bei weniger als 7 Jahren (!!!) liegt, wurden die Pferde damals (trotz Kriegsauslese und mangelnder medizinischer Kenntnisse) nicht selten 40 Jahre und älter. So ritt der preußische König Friedrich der Große in der Schlacht von Mollwitz einen angeblich 40jährigen Hengst (!!!). Das hätte er wohl kaum getan, wenn er hätte befürchten müssen, dass dieser aus Altersschwäche unter ihm zusammenbricht (was er dann jawohl auch nicht tat).

 

Danke!

Auf meine vielen Fragen bekam ich von Christin Krischke (Fürstliche Reitschule Bückeburg – die „Tjoster“), diese hochinteressanten Antworten.

Corinna Scholz

 

Weiterlesen: Was ist das, ein Barockpferd?


Über die Autorin:

Corinna Scholz ist Pferdewirtin FN Schwerpunkt Reiten mit jahrzehntelanger Erfahrung im Dressur-, Vielseitigkeits- und Springsport, die sich heute vor allem der feinen Pferdeausbildung und Reiterei verschrieben hat. Sie gründete ,das Team Légèreté e.V. mit dem sie auf verschiedenen Veranstaltungen auftritt. Nebenher bildet sie weiterhin Pferde und Reiter aus und bietet Workshops und Seminare zu verschiedenen Themen rund um’s Pferd an. Sie hat bereits in diversen Fachmagazinen Artikel rund um das Thema Pferd veröffentlicht. Seit 2010 außerdem ständige Mitarbeit an der Zeitschrift Hofreitschule. Weitere Informationen zur Autorin unter: www.tanzende-hufe.de

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