Gustav Steinbrecht

6. Februar 2017

Es ist Mitte des 19. Jahrhunderts. Baucher hat die Reitkunst in Frankreich verändert und Louis Seeger, einer seiner größten Kritiker, arbeitet in Berlin an der klassischen Dressur. Die Reiter interessieren sich zu dieser Zeit vorrangig für Jagden und das Showreiten. Davon abgesehen wird die überwiegende Anzahl der Pferde vom Militär genutzt. Die klassische Reitkunst, die Reitschulen und die weit ausgebildeten Dressurpferde sind in Deutschland ein wenig aus der Mode gekommen. In dieser Zeit lebt und arbeitet ein Schüler Seegers, der ein ganz besonderes Interesse für die Anatomie des Pferdes hegt – und der einiges verändern wird.

1808 in Ampfurth geboren, zeigte Gustav Steinbrecht schon früh eine herausragende reiterliche Begabung. Trotzdem sah der junge Steinbrecht seine berufliche Zukunft in der Tiermedizin und plante das Studium aufzunehmen. Doch der Kontakt mit dem bereits etablierten Ausbilder Louis Seeger brachte eine Wendung. Seeger überredete den Reitschüler, seinen Berufswunsch noch einmal gut zu überdenken, denn er erkannte in dem jungen Steinbrecht das große Talent, Pferde hervorragend auszubilden. Den Rat des Reitlehrers beherzigend, verzichtete Gustav Steinbrecht auf akademische Ehren und wurde Berufsreiter. Allerdings nicht beim Militär, sondern zunächst in der Reitschule Seegers bis er 1834 seine erste eigene Reitschule gründete. Steinbrecht verschrieb sich bereits früh dem Dressurreiten, denn er hatte von Anfang an ein gutes Verständnis für die Bedürfnisse der praktischen Reiterei. Seiner Meinung nach profitierten Pferde aller Verwendungen von einer guten Dressurgrundlage, die auch bei Jagd- und Militärpferden zur Kontrolle und Gesunderhaltung beitrug. Seine Arbeit zeigte schnell bemerkenswerte Resultate: Von Steinbrecht ausgebildete Pferde waren aufgrund ihrer ausgeprägt guten Hankenarbeit und Balance von Beginn an unter anderem in der Zirkusreiterei sehr gefragt. In der Folge bildete er regelmäßig Pferde für den Zirkus aus, was in späteren Jahren eine wichtige Einnahmequelle darstellte.

 

Arbeit und Einstellung zur Pferdeausbildung

Leichtigkeit und Losgelassenheit ziehen sich wie ein Roter Faden durch die gesamte Dressur-Arbeit Steinbrechts. Es war ihm wichtig das Pferd als Partner anzusehen und nicht als „Dressur-Maschine“, die einmal programmiert immer funktioniert. Er sah die Dressur als harmonisches Zusammenspiel zwischen Reiter und Pferd. Außerdem hatte Steinbrecht außerordentlich gute anatomische Kenntnisse, die sich auch in seinem Interesse für die Tiermedizin begründeten. Er achtete sehr genau darauf auf jedes Pferd individuell einzugehen, so wie es das Exterieur und die Anlagen vorgaben. Schon damals wusste er: Wenn ein Pferd mit ungünstigem Bau in eine bestimmte Haltung gezwungen wird, fordert das nur Widersetzlichkeiten und gesundheitliche Probleme heraus.

„Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ so lautet das mit Sicherheit bekannteste Zitat von Gustav Steinbrecht und sein Credo für die Arbeit mit Pferden. Steinbrecht bezog das Vorwärts auf die aktive Schubkraft und Tätigkeit der Hinterbeine, die in Lektionen eine Vorwärtstendenz behalten sollten. Beispiel hierfür sind Seitengänge, bei denen die nach vorn entwickelte Schubkraft besonders wichtig ist. Ein Nichtbeachten dieses Lehrsatzes war für Steinbrecht die Quelle aller Fehler bei der Dressur. Eine weitere Hauptaufgabe des Reiters sollte es sein, das Pferd biegsam zu machen. Dabei arbeitet Steinbrecht systematisch an Genick, Hals, Rippe, Rücken und Hinterhand. Diese Übungen fördern auch die Balance des Pferdes.

Steinbrecht kritisierte es schon damals aufs Schärfste, wenn die Reiter ihre Pferde rückwärts ritten, sie mit wenig gebogener Hanke hinten heraus traben ließen und vorne mit harter Hand die Aufrichtung erzwangen. Für ihn konnte eine reelle Aufrichtung ausschließlich über eine aktiv vorfußende Hinterhand erreicht werden. Ebenso war die schön anzusehende Schulterfreiheit nur über die Hinterhandarbeit herauszuarbeiten. Die Theorie des „gebogen-geraden“ Pferdes, die er bei seinem Lehrer Louis Seeger kennen gelernt hatte, wurde für Steinbrecht zur grundlegenden Basis.

Das Reiten auf gebogenen Linien hatte für Gustav Steinbrecht viele Vorteile und trug unter andrem maßgeblich zur Geraderichtung bei. Er erkannte, dass ein Pferd nicht von Natur aus geradegerichtet ist, was auch in der breiteren Hüfte im Vergleich zur schmaleren Schulter begründet ist. Das Reiten auf gebogenen Linien kann helfen die Balance des Pferdes zu verbessern und die Hinterhand zu stärken. Wichtige Voraussetzungen für die Geraderichtung. Das Vorhandensein der natürlichen Schiefe war damals bereits bekannt und konnte laut Steinbrecht ebenfalls mit diesen Übungen behoben werden. Der erste Meilenstein der Ausbildung war für Steinbrecht dann erreicht, wenn das Pferd die Seitengänge beherrschte. Sie stellten genauso die Grundlage für die hohe Schule, wie auch für die Handlichkeit von Militärpferden dar. Die Seitengänge waren für ihn ein Spiegel der bis dahin getätigten Ausbildung. Dabei erwähnte er immer wieder die Bedeutung von der Reinheit der Gangarten in allen Lektionen, ohne die Korrektheit, Losgelassenheit und ausdrucksstarke Harmonie nie erreicht werden können.

 

Bindeglied zur Moderne – Bedeutung für die Gegenwart

Steinbrecht kann durchaus als Wegbereiter der modernen Dressur verstanden werden. Er ist in der Deutschen Reiterei das Bindeglied zwischen den alten Meistern und der heutigen Dressur. Seine Methoden sind zeitlos aktuell, und dem Dressurreiter fallen Parallelen zur Skala der Ausbildung auf. Denn hier kommen Leitbegriffe vor, die schon Steinbrecht beschäftigt haben: Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung und Versammlung. Der Respekt vor dem Pferd, sowie die Losgelassenheit beim Reiten sind heute so wichtig wie eh und je – diese Grundsätze geraten nie aus der Mode.

Kristina Conrädel

 

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Das Gymnasium des Pferdes

Steinbrechts berühmtes Werk „Das Gymnasium des Pferdes“ wurde erst nach seinem Tod im Jahre 1885 fertiggestellt und veröffentlicht. Steinbrecht selber sah sich im hohen Alter nicht mehr in der Lage, dieses Buch zu schreiben. Er gab seine Aufzeichnungen, Gedanken und Notizen deshalb an seinen langjährigen Schüler Paul Plinzer weiter, der etwas journalistische Erfahrung hatte und das Manuskript für ihn verfasste. Steinbrecht verfolgte die Entstehung des Buches mit großem Interesse.
Steinbrechts Auffassungen und Arbeitsmethoden erscheinen auch aus heutiger Sicht zeitgemäß. Kein Wunder, denn seine Gedanken fließen bis heute in die „Richtlinien für Reiten und Fahren“ ein. Dieses Buch wird von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung herausgegeben und ist die Basis des Turniersports. Dieser Einfluss kam allerdings über ein paar Umwege zustande. Zunächst war „Das Gymnasium des Pferdes“ direkte Vorlage für die Ausbildung des Kavalleristen. Diese Erfahrungen flossen zu einem großen Teil in die bekannten „Heeresdienstvorschriften Nr.12“ ein, welches wiederum ein Vorläufer der „Richtlinien Reiten und Fahren“ ist. Da mag es fast wunderlich erscheinen, dass die Turnierplätze dieser Tage wenig Pferde zeigen, die nach diesen Prinzipien ausgebildet wurden. Steinbrecht würde wohl bei so manch einem strampelnden Mitteltrab den Kopf schütteln und eine bessere Hinterhandarbeit empfehlen.

 

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Gustav Steinbrecht wird 1808 in Ampfurth geboren. Nachdem ihn Louis Seeger für die Reiterei gewinnen kann, arbeitet er aus Verbundenheit zu ihm nach seinem Studium zunächst bei Seeger in Moabit (Berlin). Doch er verspürt rasch das Bedürfnis nach Selbstständigkeit und freier Entfaltung. Von 1834 bis 1842 betreibt er seine erste eigene Reitschule in Magdeburg. Steinbrecht verlässt diese Reitschule wieder und heiratet die Nichte von Louis Seeger, mit der er auf Lebenszeit eine glückliche Ehe führt. 1849 übernimmt er die Seegersche Reitschule in Berlin, weil sich Seeger aus Altersgründen zurückzieht. In dieser Zeit beginnt er auch mit seinen Aufzeichnungen zum „Gymnasium des Pferdes“. 1859 gründet er eine eigene Reitschule in Dessau. Hier bildet er Schulpferde in der Dressur aus und verkauft sie erfolgreich in alle Länder Europas. Steinbrecht genießt seine Arbeit in der eigenen Schule in Dessau, da er hier das erste Mal unter besten Bedingungen frei und vollständig nach seiner Auffassung Pferde ausbilden kann. Allerdings fühlt sich seine Frau in der Umgebung nicht wohl, so dass Steinbrecht schweren Herzens, aus Liebe zu seiner Ehefrau, 1865 wieder mit ihr nach Berlin zieht. In Berlin lebt und arbeitet Gustav Steinbrecht bis zu seinem Tod im Jahre 1885.

 

 

Buchtipp

Das Gymnasium des Pferdes

 

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