Tiago – ein außergewöhnliches Pferd

20. Oktober 2016

Meine Geschichte | Julia Abee | 20.10.2016

 

PRE Hengst Tiago hat eine ganz besondere Farbe, die aufgrund eines unterdrückten Grau-Gens entsteht. Diese Farbe gibt es zurzeit nur etwa 4-Mal weltweit. Aber nicht nur die Farbe sondern auch seine Geschichte ist spannend und außergewöhnlich.

Ich heiße Julia  Abee, bin 24 Jahre alt und habe gerade ein duales Studium zur Orthopädietechnik/Mechanikerin  in Bielefeld begonnen 🙂 Ich wurde als ich klein war von meiner Mutter mit dem Pferdevirus infiziert und gerade die spanischen Pferde haben es mir schon immer angetan. Daher habe ich mir zu meinem 13. Geburtstag eine Reitstunde auf einem P.R.E gewünscht und ab da war es völlig um mich geschehen. Ich habe viele tolle pferde im laufe der zeit gesehen die ich natürlich alle gerne gehabt hätte, aber vor vier Jahren streifte ich morgens durch den Stall iund mein Blick blieb an diesem einem, ganz besonderen Pferd hängen. Ich hatte ihn vorher schon auf Videos gesehen, aber da es dunkel war und er eingedeckt  (es war sehr kalt und er kam gerade aus Spanien) hatte ich ihn nicht erkannt. Das war Tiago – oder eigentlich Esclavo XXVIII, ein damals noch achtjähriger P.R.E- Hengst der aussah als wäre er frisch einem Westernfilm entsprungen. Mir war sofort klar dass er etwas ganz besonderes ist und wir hatten von Anfang an eine sehr enge Verbindung zueinander. Mit Tiago habe ich mir meinen größten Traum erfüllt. Ich wollte schon immer einen reinrassigen spanischen Hengst haben. Wie er aussehen sollte, davon hatte ich keine Vorstellung und jetzt hab ich ein Pferd der farblich von allem ein bisschen ist. Anfangs wusste ich gar nicht wie selten diese Farbgebung ist, fing aber mit der Zeit an aus Interesse zu recherchieren und stieß auf die Comico- Brüder. Ein Hengst lebt in England und einer in Florida. Beide haben farblich sehr viel Ähnlichkeit mit Tiago  und sind sogar mit ihm verwandt. Weitere, zumindest  öffentlich bekannte Pferde (der reinen spanischen Rasse) mit dieser Färbung gibt es derzeit nicht und so sind Tiago und die beiden Comicos momentan die einzigen P.R.E’s weltweit.   Scheinbar ist die Ursache für die Farbe, dass diese Pferde eine genetische Eigenschaft haben die das Schimmelgen unterdrückt. Somit werden sie alle mit der Zeit zwar heller, schimmeln aber nie vollständig aus. Zusätzlich auffällig für die Färbung ist das Coon-tail-ticking – das bedeutet dass der Schweifansatz weiß ist und Tiago hat noch am Bauch beidseitig brindlestreifen – generell bei Pferden sehr selten zu finden.  

Und so kam es, dass ich durch Zufall ein Pferd in einer sehr seltenen Farbe hatte – aber wörtlich genommen hat ein gutes Pferd ja auch keine Farbe und das kann ich durchaus bestätigen 😀  

Charakterlich ist er einfach ein wahrer Traum…bombensicher, trotzdem keine Schlaftablette, er ist nicht hengstig und für absolut jeden Spaß zu haben. Und ich finde dass er irgendwie Humor besitzt- es vergeht zum Beispiel kein Fotoshooting oder selbst wenn ich privat knipse, an dem er nicht die Zunge rausstreckt 😀
Sowohl platzarbeit mag er sehr gerne  (ich habe ihn schon sehr gut geritten bekommen: traversalen, galloppirouetten, Passage etc) als auch bei der Bodenarbeit und im Gelände ist er immer zu begeistern. Für mich ist er einfach das perfekte Pferd und ich bereue keine Sekunde mit ihm.
 Anfang des Jahres hat sich viel für uns verändert weil er sehr plötzlich beidseitig durch periodische Augenentzündung und eine starke Nebenwirkung eines Medikamentes erblindet ist. Das war ein ziemlich harter Schlag. Ich hatte absolut keine Ahnung wie es weitergehen sollte und war total verzweifelt. Er war zu Beginn total neben der Spur, hatte Angst, stieß im Stall immer irgendwo gegen, traute sich kaum sich zu bewegen und wirkte als wäre er nicht ganz da. Um ihm Bewegung zu verschaffen (und weil ich ihm vertraue und er mir) wollte ich ihn reiten. Doch er hatte nicht nur Drehschwindel sondern wie sich herausstellte auch Schwindelprobleme auf der Geraden und wir fielen im Schritt einfach um. Das war für mich ziemlich schockierend – nicht um meiner Willen, aber weil ich natürlich dachte: auf die Art und Weise ist das einfach kein würdiges Leben für ein Pferd.  

Mein Gefühl sagte mir aber immer wieder dass er mit seiner Blindheit klar kommen würde und ich gab mich noch nicht geschlagen dass es das jetzt sein sollte. Gefühlte Jahre aber eigentlich nur Tage und Wochen vergingen und trotz Behandlung hatte ich das Gefühl dass es ihm immer schlechter ging und ich war kurz davor ihn zu erlösen. Durch Recherche im Internet stießen wir allerdings darauf, dass der Medikamentenchip der ihm gegen  die periodische Augenentzündung  implantiert wurde zumindest bei Menschen in sehr seltenen Fällen Nebenwirkungen auslöste, die einige von Tiagos Verhaltensweisen erklärten. In Absprache mit dem tierarzt und weil es eh die letzte Chance war ließ ich auf Versuch das Implantat wieder entfernen und erlebte nach einigen Tagen ein riesiges wunder, als er nach dem Klinikaufenthalt auf die Weide bei uns kam und plötzlich buckelnd mit seinem besten Freund Monty über die Weide galoppierte. Von da an ging es lange Zeit erstmal bergauf.  Der Schwindel und sein Gangbild wurden von Tag zu Tag besser und er wurde immer mehr zu dem alten Tiago. Einmal ist er bei starkem Wind durch den Zaun gegangen, sein Gehörsinn schärft sich erst langsam und er konnte seinen Kumpel nicht mehr Orten. Daher trägt Monty nun eine Kuhglocke und wir haben den beiden einen großen Auslauf mit Holzumrandung gebaut- das klappt spitze! Das ganze ist jetzt 10 Monate her – kaum zu glauben! Aber Tiago ist wieder völlig der alte! Wir reiten trotz kompletter Erblindung in allen drei Gangarten mit 12 Hunden im Schlepptau aus und er genießt jeden Galoppsprung.  Zwar hüpft er auch mal auf der weide – er legt sich auch zum schlafen hin und ich kann mich zu ihm setzen oder er wälzt sich ausgiebig, aber das richtige rennen holt er dann nach wenn ich ihm sozusagen meine Augen schenke 😀 ich habe ihn zur Sicherheit mit Blindenzeichen versehen, aber mit meiner Hilfestellung meistert er alles wie früher- nur eben langsamer. Baustellen, Brücken, bergauf, bergab, im Schritt über ein kleines Hindernis – das stellt alles kein Problem dar. Und ich bin mir sicher, dass viele gar nicht merken dass er überhaupt blind ist.  

Scheinbar gibt es sowohl in Deutschland als auch auf der ganzen Welt viele blinde Pferde. Durch Facebook habe ich eine große Gemeinschaft gefunden die sich gegenseitig sehr unterstützt und jedes Pferd-mensch Team dort ist einfach einzigartig. Natürlich kommt nicht jedes Pferd mit einer Erblindung zurecht und nicht jeder Mensch mit einem blinden Pferd. Aber ich finde es ist wichtig sich trotz vieler negativer Kritiken, ein blindes Pferd gehöre eingeschläfert, an die Öffentlichkeit zu wenden und zu zeigen dass selbst eine vollständige Erblindung nicht zwangsläufig ein wertloser und unglücklicher Zustand ohne Lebensqualität für Pferd und Reiter darstellen muss. Natürlich bedarf es an Vertrauen und Geduld, aber hat man sich dieses Vertrauen erst einmal erarbeitet, gibt es eigentlich nichts, was mit einem blinden Pferd nicht schaffbar wäre – und ja, ich rede hier sogar auch von Sprüngen, so unglaublich das auch erscheinen mag.
 Tiago führt  trotz Blindheit ein sehr selbstständiges Leben in einem Offenstall zusammen mit Monty (den ich hier übrigens auch nochmal besonders erwähnen möchte da er das beste Blindenführpony ist das man sich wünschen kann!). Futter, Wasser, Ein- und Ausgang und die Zaungrenzen kennt Tiago  genaustens! Eine Einschränkung seiner Lebensqualität gibt es also auch hier nicht.

 
Und trotz vollständiger Erblindung ist er immer noch das absolut perfekte Pferd für mich und ich würde ihn für nichts auf der Welt hergeben. Wie der kleine Prinz so schön sagte: Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar. Und ginge es nur nach diesem Satz, hat Tiago für mich noch immer die klarsten Augen von allen.

Julia  Abee

 

TV-Tipp: Voraussichtlich am 25.12.2016 um 20:15 werden Julia und Tiago in der NDR Landpartie zu sehen sein.

 

Fotos: FriederikeScheytt
www.scheytt-photography.de

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„Du triffst nicht auf ein Pferd zufällig. Es ist das Schicksal, das dich zu ihm führt.“

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